Text nach GA:
Ich stehe hier am Jammerstein
und schreie meinen Fluch;
ihr Männer von Meckeloh,
hört mein Schrei'n:
Jeduch, jeduch, jeduch!
Hört mein Schrein,
hört meine Not,
ich stehe am Jammerstein;
mein Hennecke, euer Haupt, ist tot,
und Jeduch muß ich ihm schrei'n.
Jeduch auf die Leute aus Lüttjeloh,
die ihn schlugen mit heimlicher Hand;
ich rufe Jeduch durch den ganzen Go,
über Feld, über Moor, über Sand.
Wo der Graben kommt aus dem hohlen Moor,
da fand ich ihn liegen im Sand,
aus seinem Haar krochen die Maden hervor,
im Munde das Blut ihm stand.
Seinen Brägen hatte der Fuchs fortgebracht,
seinen Nacken der Wolf zernagt,
mit dem Haar hab' ich sein Gesicht rein gemacht,
mit der Hand die Fliegen verjagt.
Sein Arm war hart, seine Hand war rauh,
sein Herz und sein Mund waren weich,
seine Augen, die waren wie [...]
Text nach Vorlage:
Jeduch.*)
Von Hermann Löns.
Ich stehe hier am Jammerstein
Und schreie meinen Fluch;
Ihr männer von Meckeloh, hört mein Schrei'n:
Jeduch, jeduch, jeduch!
Hört mein Schrei'n, hört meine Not,
Ich stehe am Jammerstein;
Mein Hennecke, euer Haupt, ist tot,
Und Jeduch muß ich ihm schrei'n.
Jeduch auf die Leute aus Lüttjeloh,
Die ihn schlugen mit heimlicher Hand;
Ich rufe Jeduch durch den ganzen Go,
Über Feld, über Moor, über Sand.
Wo der Graben kommt aus dem hohlen Moor,
Da fand ich ihn liegen im Sand,
Aus seinem Haar krochen Maden hervor,
Im Munde das Blut ihm stand.
Seinen Brägen hatte der Fuchs fortgebracht,
Seinen Nacken der Wolf zernagt,
Mit dem Haar hab' ich sein Gesicht rein gemacht,
Mit der Hand die Fliegen verjagt.
Sein Arm war hart, seine Hand war rau,
Sein Herz und sein Mund waren weich,
Seine Augen, die waren wie Bachblumen blau,
Keiner von euch war ihm gleich.
Wo er hinschlug, kam das Gras nicht zurück,
Wo er küßte, küßte er Glut.
Des Dorfes Stolz, meiner Augen Glück,
Da liegt er in seinem Blut.
Bei Nacht und Nebel, vor Tau und Tag
Erschlug ihn das Hundegezücht,
Von hinten traf ihn des Mörders Schlag,
Er lag auf seinem Gesicht.
Keine Nacht noch war er in Wonne bei mir,
Kein Kind von ihm trägt mein Leib,
Eine Jungfernwitwe, so stehe ich hier,
Ein unglückseliges Weib.
Wenn der Kuckucksruf aus dem Maibaum schallt,
Dann sollte sein Weib ich sein;
Jetzt liegt auf der Diele er steif und kalt,
Und ich bin gelt und allein.
Ich schnitt mir vom Kopfe mein schönes Haar,
Zerkratzte mir Brust und Gesicht,
Aller Zier und Pracht will ich jetzt sein bar,
Einem andern gönn' ich das nicht.
Will in Lumpen gehen, will in Lappen sein,
Um den Kopf das Witwentuch,
Und immer bloß schrei'n und schrei'n und schrei'n
Jeduch, jeduch, jeduch.
Bis Luttjeloh brennt, bis Lüttjeloh qualmt,
Bis zum Himmel soll blaken die Glut,
Bis das Beil der Mörder Knochen zermalmt,
In den Mist soll fließen ihr Blut.
Ihre Weibsleute gebet den Knechten hin
Und treibt sie nachher aus dem Go,
Dann wird wieder ruhig mein wilder Sinn,
Dann wird mein Herz wieder froh.
Aus Lüttjelohs Balken baut mir dann
Die letzte Lagerstatt,
Und der Mörder Blut muß kleben dran,
Das macht meine Augen satt.
Dann will ich legen mein Brautkleid an,
Umhängen das blanke Geschmeid,
Zu Hennecke geh ich, zu meinem Mann,
Unser Bett, es ist bereit.
Wenn in Lüttjeloh die Kinder schrei'n,
Wenn das Vieh verkohlt im Stall,
Dann will meines Hennecke Frau ich sein,
Will fahren mit ihm zu Walhall.
Ich stehe hier am Jammerstein
Und schreie meinen Fluch;
Ihr Männer von Meckeloh, hört mein Schrei'n:
Jeduch, jeduch, jeduch!
*) Noch zu geschichtlicher Zeit wurde in der Lüneburger Heide bei Untaten bei den vor den Dörfern liegenden Jeduttensteinen Jeduch, d. h. Rache, über die Frevler geschrien.
(Neuer / deutscher / Balladenschatz. 8. Sonderheft / der / „Woche". Berlin: August Scherl G.m.b.H. 1906, S. 64-66)