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Verklärte Nacht
C. Einrichtung für Streichorchester (1943)

Opus: op. 4
Entstehungszeitraum: 1943
Quellen:

Textquelle

Skizzen auf einem Bogen und einem eingelegten Einzelblatt

Schönbergs Handexemplar von Q
Weitere Quellen:

Exemplar des Erstdrucks der Partitur K der Fassung für Streichorchester von 1917 mit Korrekturen, Stichvorlage für Q

Blaupausen zur Korrektur

Erstdruck der Partitur der Streichorchesterfassung von 1943, Druck einer Kopistenautographie

Beschreibung:

Schönberg war seit 1934 mit unterschiedlichen amerikanischen Verlagen in Verhandlungen über eine Neubearbeitung, um das Werk urheberrechtlich zu schützen, denn bei der Einrichtung für Streichorchester von 1916/17 war dies von der  Universal-Edition versäumt bzw. mit Rücksicht auf den Originalverlag von op. 4 (Verlag Dreililien) unterlassen worden. Ein Problem, das Schönberg und die beteiligten Verlage über Jahre hinweg beschäftigte und daher eine etwas nähere Betrachtung verdient. Der Universal-Edition gegenüber thematisierte Schönberg das Problem bzw. den diesbezüglichen Vorwurf zunächst am 28. Oktober 1934 in einem Brief an Alfred Kalmus, der in seiner Antwort am 7. Dezember 1934 die rechtlichen Bedenken teilte. Am 16. März 1935 brachte Schönberg gegenüber der Universal-Edition den Musikverlag Schirmer als amerikanischen Verlagspartner ins Gespräch, denn Associated Music Publishers (AMP), der die Interessen der Universal- Edition in den USA vertretende Verlag, kam für Schönberg zu diesem Zeitpunkt aufgrund schlechter Erfahrungen nicht in Frage. Am 3. Mai 1935 schrieb Schönberg selbst an Carl Engel von Schirmer und erwähnte (im Zusammenhang der Kammersymphonie) die versäumte Copyrighteintragung und die Neubearbeitung von op. 4, die ebenfalls aufs Praktische gerichtet sei. Schirmer sah sich allerdings am 4.Juni 1935 nicht in der Lage, die beiden Werke (op. 9 und op. 4) auf der bis dahin praktizierten Grundlage in Verlag zu nehmen, worauf Schönberg am 18. Juni enttäuscht reagierte. Schirmer erläuterte die wirtschaftlichen Gründe für die zögerliche Haltung am 24. Juni und 6. August, worauf Schönberg am 22. Juli eine veränderte Regelung ohne die gewohnten Vorauszahlungen vorschlug, dabei erwähnend, daß die Bearbeitung noch nicht ganz fertig sei (ähnliches zum Stand der Arbeit äußerte er auch am 2. Oktober 1935). Die Publikationspläne von op. 4 gerieten infolgedessen u. a. wegen urheberrechtlicher Zweifel von Schirmer ins Stocken.
In den folgenden Jahren setzten die Streitigkeiten mit der Universal-Edition und AMP über die Beteiligung an den Gewinnen von Schallplatten-Aufnahmen ein und belasteten das Verhältnis zu den Verlagen. Schönberg knüpfte daraufhin im November 1939 Kontakt zu dem Bruder von Alfred Kalmus, Edwin F. Kalmus, der seit einigen Jahren einen eigenständigen Verlag in den USA führte. Dieser erläuterte Schönberg am 6. Dezember 1939 die Umstände für ein Copyright der neuen Fassung und bestätigte am 7. Februar 1940, daß laut Copyright Office kein Copyright eingetragen sei. Am 14. Februar 1940 entgegnete Schönberg — neben Vorschlägen für eine bessere Vergütung als die von Kalmus vorgeschlagene — die Sorge, daß seine Verwandten (vor allem sein Sohn Georg) Probleme bekommen könnten, wenn er die Universal-Edition durch eine Publikation von op. 4 bei Kalmus vor den Kopf stieße. Deshalb legte er diesem Schreiben einen ebenfalls an Kalmus gerichteten „offiziellen“ Brief gleichen Datums bei, der auch an die Universal-Edition gehen sollte. In diesem stellt Schönberg Kalmus als den Initiator der Neuausgabe dar und tritt dafür ein, die Rechte der Universal-Edition zu wahren. Kalmus lehnte aber schon am 15. Februar diesen Vorschlag ab und bot sogleich an, die dem Verlag überlassenen Vorlagen zurückzusenden. Schönberg reduzierte seine Forderungen daraufhin am 20. Februar, doch Kalmus erklärte am 24. Februar ausführlich den begrenzten finanziellen Spielraum, ferner die Gründe, warum er die von Schönberg vorgeschlagene Form der Vereinbarung nicht treffen könne, und daß im Falle einer Einigung das Copyright auf den Verlag eingetragen werden solle. Damit war die Angelegenheit für Schonberg erledigt, die Korrespondenz brach ab. Ein Vierteljahr später (am 23. Mai 1940) erkundigte sich AMP in Person Hugo Winters nach der nicht beendeten Bearbeitung und konkretisierte am 20. Juli 1941 die Situation des Copyright dahingehend, daß eine Verlängerung nach 28 Jahren nicht zwingend in denVerträgen mit der Universal-Edition vorgesehen war. Ab Oktober 1940 hatten Verhandlungen über die Verwendung der alten Einrichtung für Streichorchester von 1916/17 als Ballett-Musik (späterer Ballett-Titel Pillar of Fire) mit zwei verschiedenen Ensembles begonnen; zunächst in direkter Korrespondenz mit Schönberg, ab dem 13. September 1941 aber zog AMP die Verhandlungen an sich. Die mit dem Ballet Theatre und dem Slavenska Ballet getroffenen Vereinbarungen waren für Verlag und Komponist ein lukratives Geschäft, und Winter fragte im Zuge dessen am 9. Dezember 1941 auch erneut nach der angekündigten Überarbeitung. Fast ein Jahr verging bis zur nächsten diesbezüglichen Anfrage Winters im November 1942, doch erst auf ein Telegramm vom 22. Dezember 1942 antwortete Schönberg noch am gleichen Tag (der Brief ist versehentlich auf das Jahr 1944 datiert). Der Verlag kündigte in seiner Antwort vom 29. Dezember einen Vertrag für die folgende Woche an, ein Entwurf wurde Schönberg am 13. Januar 1943 zugesandt. Darin wurde das Copyright der Universal-Edition an der Verklärten Nacht bestätigt, aber gleichzeitig auf AMP übertragen. Ende Januar fragte Winter nach dem Stand der Dinge, stimmte am 6. Februar der Bitte um höhere Vorauszahlung zu und bestätigte den von Schönberg wegen great changes gewünschten Neudruck des Werkes. Schließlich sandte Schönberg am 9. Februar mit einem Brief an Winter die überarbeitete Partitur als Satzvorlage, verbunden mit Anweisungen für den neuen Notensatz und der Ankündigung eines Vorwortes, zu dem es nicht kam; allerdings regte Winter am 18. Februar an, eine englische Übersetzung beizufügen. Die Blaupausen des Werks wurden am 8. Mai 1943 angekündigt, wobei der Verlag um Zusendung des alten Vertrages mit der Universal-Edition bat, um die neue Vereinbarung juristisch abzusichern. Am 8. Juni bekam Schönberg die Blaupausen (Quelle P*) von dem von Winter als editor angekündigten Arthur Mendel, der u. a. auf die zahlreichen gestrichenen Warn-Akzidentien hinwies, wogegen Schönberg erfolgreich protestierte.
Nachdem die Herstellung des Werkes geregelt war, faßte Schönberg den Gedanken, daß die zahlreichen Aufführungen des Werkes bei den Verhandlungen mit der ASCAP (American Society of Composers, Authors and Publishers) bezüglich einer Höherstufung förderlich sein könnten. Dies nötigte Winter am 5. August 1943 zu einem längerem Brief, in dem er u. a. betonte, AMP sei ohnehin als Vertreter der Universal-Edition Inhaber des Copyrights der Verklärten Nacht sowie der Bearbeitungen davon und riet davon ab, die ASCAP zu kontaktieren. Trotzdem erkundigte sich Schönberg am 8. September bei John G. Pain (ASCAP), ob das Honorar der AMP für seine Bearbeitung von op. 4 seine Mitgliedschaft bei ASCAP irgendwie beeinträchtigen würde. Mitte September 1943 lag der Druck der Bearbeitung vor, der nicht nur ein Copyrightvermerk von AMP für 1943, sondern auch für 1917 enthält. Das Datum der ersten Aufführung ist nicht gesichert, auch wenn als mögliche Termine die Aufführungen des Balletts Pillar of Fire in Frage kommen, für die Winter im November 1943 eine erneute Vereinbarung mit dem Ballet Theatre getroffen hatte. Am 27. November monierte Winter, daß Schönberg es wohl versäumt habe, den Vertrag zurückzuschicken. Am 2. Dezember erklärte Schönberg erneut seine Sorge bezüglich des von ihm vermuteten Interessenkonflikts, daß es AMP — bedingt durch Schönbergs Mitgliedschaft bei ASCAP — nicht gestattet sein könnte, Tantiemen einzutreiben; es solle ein Passus in die neue vertragliche Vereinbarung, daß diese — für den Fall, daß Schönbergs Sorge zutreffend sei - entsprechend geändert werden könne. Winter lehnte am 29. Dezember diesen potentiellen Verzicht als unnötig ab, da das Copyright an op. 4 schon vor der Mitgliedschaft bei ASCAP bestanden habe, und eine Bearbeitung dieses Werkes — auch während der Mitgliedschaft bei ASCAP — daher einzig und allein eine Angelegenheit von AMP sei. Schönberg möge doch ohne Verzögerung den Vertrag unterschreiben und zurücksenden.
In diese Zeit fällt auch der kurze Briefwechsel mit Bruno Walter zur Verklärten Nacht, (vom 18. bzw. 23. Dezember 1943) in dem es um Kürzungen des Werkes geht. Schönberg hatte tatsächlich über die Streichung einiger Takte nachgedacht, was die Skizzen (Quelle N) belegen. Diese sind allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit vor der Drucklegung der zweiten Einrichtung entstanden, denn einerseits antwortete Schönberg nur wenige Tage später auf den Brief mit der sehr ausführlichen Begründung der Ablehnung der Kürzungsvorschläge, andererseits scheint es unwahrscheinlich, daß er drei Monate nach Fertigstellung des (nicht primär musikalisch motivierten) Drucks bereits Überarbeitungen notierte und diese zwecks Einklebung auszuschneiden begann.
Für die Aufführung durch Bruno Walter am 3./4. Februar 1944 in der Carnegie Hall — auf dem Programm standen außer der Verklärten Nacht noch die Tragische Ouvertüre op. 81 von Johannes Brahms und nach der Pause Gustav Mahlers 4. Symphonie — ist im Programmheft ein Indiz dafür enthalten, daß das Material der neuen Einrichtung der Verklärten Nacht verwendet wurde, denn im Text des Programmheftes wird auf die englische Paraphrase des Gedichts von Krehbiel hingewiesen, die nur in der AMP-Partitur abgedruckt ist. Das Verhältnis Schönbergs zu AMP wurde zusätzlich durch die Einsetzung des Alien Property Custodian durch den amerikanischen Präsidenten belastet, der Vermögen bzw. Zahlungen aus dem feindlichen Ausland verwaltete und in dieser Aufgabe AMP untersagte, Erlöse der Universal-Edition an Schönberg auszuzahlen. Am 1. Mai 1944 erinnerte Schönberg an seinen nahenden 70. Geburtstag, vor dem damit verbunden great rush auf seine Werke müsse man neue Vereinbarungen schließen, was Winter u. a. zum Anlaß nahm, um auf die immer noch nicht unterschriebene Vereinbarung zu op. 4 und den damit nicht gewährleisteten Urheberschutz hinzuweisen. Obwohl AMP weiterhin Schönbergs Anteil an den Erlösen aus der Verklärten Nacht an ihn zahlte, suchte dieser am 2. Mai 1944 juristischen Beistand bei Maurice Thorner, um sich gegen die in seinen Augen ungerechte Behandlung durch AMP zu wehren. Am 5. Juni schrieb er an Winter, die Universal-Edition und Ass. Mus. Publ. würden nichts für ihn und seine Werke tun, die geschlossenen Verträge mit der Universal-Edition seien für ihn nicht bindend: you are not my publisher and I am not your composer. Er verlangte einen neuen Vertrag, alle seine Werke müßten nachgedruckt werden, für die Zinsen eines Kredits (der nur durch die ausstehenden Zahlung der AMP notwendig wurde) sollten 100 $ bezahlt, und ein Scheck als Vorauszahlung an ihn geschickt werden. In der Antwort vom 16. Juni 1944 widerlegte Winter die einzelnen Punkte und mahnte die ausstehende Unterzeichnung der Vereinbarung zu op. 4 an. (Zwischenzeitlich dirigierte Schönberg selbst eine Aufführung von Pillar of Fire am 8. Februar 1945 in San Francisco.) Auch die Mahnung des Verlags vom 15. Juni 1945 blieb zunächst ohne Antwort, statt dessen bat Schönberg erneut bei der ASCAP vergeblich um eine höhere Einstufung. Beim Verlag beschwerte er sich am 2. Juli 1945, wann denn mit einer Abrechnung seiner Tantiemen zu rechnen sei. Diese bekam er am 13. Juli, allerdings ohne beiliegenden Scheck: Die Zahlungen aus der Abrechnung der Universal-Edition-Werke würden weiterhin vom Alien Property Custodian blockiert und der Betrag für die Bearbeitung erst dann ausgezahlt, wenn die Vereinbarung als rechtliche Basis der Zahlungen unterschrieben vorliege.
Schönberg holte sich erneut juristischen Rat zu dieser Vereinbarung bei der ASCAP, dieser fiel aber ambivalent und wenig hilfreich aus. Zwei Monate später, am 10. September 1945 schickte AMP den zuvor erwähnten Scheck, obwohl eine Unterschrift Schönbergs nicht geleistet wurde. Diese Streitigkeiten und gegenseitigen Vorwürfe fanden schließlich erst 1946 ein Ende. Schönberg beauftragte am 6. März 1946 nochmals einen Anwalt, nämlich — auf Empfehlung Artie Shaws — Andrew D. Weinberger, da RCA Victor ohne Schönbergs Wissen eine Aufnahme der Verklärten Nacht herausgebracht hatte, zudem mit dem falschen Titel Pillar of Fire. Weinberger setzte bei einem Treffen mit Winter schließlich Schönbergs Interessen durch — auch bezüglich der Werke, deren Rechte bei der Universal-Edition lagen - , wovon er am 21. Juni 1946 en detail berichtete. Am 13. August sandte Weinberger die ausgehandelten Verträge und empfahl Schönberg diese zu unterschreiben, um eine möglichst baldige Zahlung der ausstehenden Beträge herbeizuführen. Am 22. August folgte die Rechnung Weinbergers, ein Scheck von AMP und Schönbergs Kopie des Vertrages, womit die Angelegenheit abgeschlossen war. Eine glückliche Wendung für Schönberg, zumal Weinberger — trotz der zwischenzeitlichen Vorwürfe Schönbergs an ihn — die Streitigkeit zu einem erfolgreichen Ende bringen konnte. Doch Schönbergs Reaktion auf die Rechnung ließ auf sich warten. Am 6. September mahnte Weinberger kommentarlos die Zahlung der in Rechnung gestellten 200 $ an, worauf sich Schönberg herzlich für den Einsatz bedankte, aber um Nachsicht bat, daß er nur 100 $ zahle; er sei von AMP so schlecht behandelt worden und bekäme nur einen mageren Anteil von den Einnahmen. Die Kürzung des Honorars verband er zugleich mit weiteren Fragen zur Vereinbarung, die Weinberger am 15. Oktober beantwortete und sich mit dem Erhalt des halben Honorars einverstanden erklärte: I think, however, that Arnold Schoenberg deserves special consideration. Zeugen darauffolgender Korrespondenz sind nicht erhalten.
Die Streitigkeiten mit AMP und der Universal-Edition hielten hingegen weiter an, Schönberg beschwerte sich bis an sein Lebensende über ausbleibende Abrechnungen und Zahlungen. Einen kuriosen Nebenschauplatz dieser Streitigkeiten eröffnete Schönberg im Sommer 1946: Am 17. Mai 1946 hatte er sich direkt bei RCA Victor nach Tantiemen vermutlich für die oben genannte Schallplattenaufnahme erkundigt, was sich allein aus dem Antwortbrief vom 20. Juni des durch RCA beauftragten Holen Adjustment Bureaus (wohl eine Art Inkassounternehmen) erschließen läßt. Darauf bestätigte ihm RCA am 20. Mai telegraphisch einen Betrag von $ 349,57, allerdings ohne nähere Angabe, warum, an wen und wann gezahlt werden solle. Dies führte zu dem Mißverständnis, daß das besagte Holen Adjustment Bureau im Auftrag von RCA am 20. Juni bei Schönberg diesen Betrag als zahlbar anmahnte. Dieser bat am 25.Juni um Richtigstellung, aber am 8. Juli folgte die Antwort, daß man doch mit einer Zahlung rechne. In Anspielung auf den Namen des Büros schrieb Schönberg erzürnt am 12. Juli: Enclosed a copy of the letter which I sent you answering your previous letter. I have nothing to add this time but, that if you write me again dann soll sie der Teufel H O L E N. Schließlich klärte RCA die Angelegenheit, es sei eine Verwechslung und bezüglich der Tantiemen habe man sich inzwischen mit AMP verständigt. (Albrecht-Hohmaier, Martin; Scheideler, Ullrich: GA, Reihe B, Bd. 9, S. 78-80)

Zur Fassung für Streichorchester von 1943 sind folgende Quellen bekannt: nicht datierte Skizzen (N), die sich mit verschiedenen Kürzungsmöglichkeiten beschäftigen, die verschollene Stichvorlage (O*), vermutlich ein Exemplar von K, ein verschollener Korrekturabzug auf Blaupausen (P*), anläßlich dessen Schönberg mit Arthur Mendel vom Verlag AMP brieflich über seine Akzidentiensetzung diskutierte, die Erstausgabe der Partitur (Q), die vermutlich im September 1943 erschien, sowie ein Handexemplar (Q1). (Albrecht-Hohmaier, Martin; Scheideler, Ullrich: GA, Reihe B, Bd. 9, S. 1)

Besetzung: Streichorchester
Gattung: Orchesterwerke --> Werke für Streichorchester
Text:

Text nach GA:

Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain;
der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Der Mond läuft über hohe Eichen;
kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
in das die schwarzen Zacken reichen.
Die Stimme eines Weibes spricht:

Ich trag ein Kind, und nit von Dir,
ich geh in Sünde neben Dir.
Ich hab mich schwer an mir vergangen.
Ich glaubte nicht mehr an ein Glück
und hatte doch ein schwer Verlangen
nach Lebensinhalt, nach Mutterglück
und Pflicht; da hab ich mich erfrecht,
da ließ ich schaudernd mein Geschlecht
von einem fremden Mann umfangen,
und hab mich noch dafür gesegnet.
Nun hat das Leben sich gerächt:
nun bin ich Dir, o Dir, begegnet.

Sie geht mit ungelenkem Schritt.
Sie schaut empor; der Mond läuft mit.
Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht.
Die Stimme eines Mannes spricht:

Das Kind, das Du empfangen hast,
sei Deiner Seele keine Last,
o sieh, wie klar das Weltall schimmert!
Es ist ein Glanz um alles her;
Du treibst mit mir auf kaltem Meer,
doch eine eigne Wärme flimmert
von Dir in mich, von mir in Dich.
Die wird das fremde Kind verklären,
Du wirst es mir, von mir gebären;
Du hast den Glanz in mich gebracht,
Du hast mich selbst zum Kind gemacht.

Er faßt sie um die starken Hüften.
Ihr Atem küßt sich in den Lüften.
Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.

Text nach Vorlage:

Verklärte Nacht.
Zwei Menschen gehen durch kahlen, kalten Hain;
der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Der Mond läuft über hohe Eichen,
kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
in das die schwarzen Zacken reichen.
Die Stimme eines Weibes spricht:

Ich trag ein Kind, und nit von dir,
ich geh in Sünde neben dir.
Ich hab mich schwer an mir vergangen;
ich glaubte nicht mehr an ein Glück
und hatte doch ein schwer Verlagen
nach Lebensfrucht, nach Mutterglück
und Pflicht - da hab ich mich erfrecht,
da ließ ich schaudernd mein Geschlecht
von einem fremden Mann umfangen
und hab mich noch dafür gesegnet.
Nun hat das Leben sich gerächt
nun bin ich dir, o dir begegnet.

Sie geht mit ungelenkem Schritt,
sie schaut empor, der Mond läuft mit;
ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht.
Die Stimme eines Mannes spricht:

Das Kind, das du empfangen hast,
sei deiner Seele keine Last,
o sieh, wie klar das Weltall schimmert!
Es ist ein Glanz um Alles her,
du treibst mit mir auf kaltem Meer,
doch eine eigne Wärme flimmert
von dir in mich, von mir in dich;
die wird das fremde Kind verklären,
du wirst es mir, von mir gebären,
du hast den Glanz in mich gebracht,
du hast mich selbst zum Kind gemacht.

Er fasst sie um die starken Hüften,
ihr Atem mischt sich in den Lüften,
zwei Menschen gehen durch hohe, helle Nacht.

(Weib und Welt. Gedichte von Richard Dehmel / mit einem Sinnbild. Berlin: Verlag von Schuster u. Loeffler 1896, S. 61-63)

beteiligte Personen: Richard Dehmel (1863-1920) - Textautor(in)

Erstdruck: Associated Music Publishers, Inc.,New York 1943
Gesamtausgabe: Reihe A, Bd. 9, Teil 2, S. 53-93; Reihe B, Bd. 9, S. 1-144; Skizzen: Reihe B, Bd. 9, S. 72-76