Titel

Werkgattungen

Papiersorten

Volltextsuche

Kategoriensuche

Verknüpfte Suche

Sie befinden sich hier: Alle Titel / Die Jakobsleiter. Oratorium

Die Jakobsleiter. Oratorium

Entstehungszeitraum: 1915-1922
Uraufführung: 160 Takte: 12. Januar 1958, Hamburg (Norddeutscher Rundfunk; Hans Rosbaud, Dirigent). Gesamt-UA: 16. Juni 1961, Wien, Konzerthaus (Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester; Rafael Kubelik, Dirigent). Szenische EA: 14. August 1968, Santa Fe, New Mexico.
Quellen:

Aufstellungen und Erläuterungen zu Besetzung und Instrumentierung

Besetzung und Erläuterung der Fernmusiken

Dauernkalkulation

Skizzen im sogenannten II. Kleinen Skizzenbuch

Skizzen im sogenannten III. Kleinen Skizzenbuch

Skizzen im sogenannten IV. Kleinen Skizzenbuch

Skizzen und Entwürfe im sogenannten IV. Skizzenbuch

Textkorrekturen

Particell

Transparentreinschrift

Exzerpte, Entwürfe

Anweisungen für den Dirigenten

Beschreibung:

Arnold Schönbergs Oratorium Die Jakobsleiter fokussiert als zentrale Komposition seiner Weltanschauungsmusik zwischen 1908 (II. Streichquartett op. 10 mit den George-Vertonungen Litanei und Entrückung) und 1923 (Serenade op. 24 mit dem Sonett aus den Canzoniere von Petrarca) die den Komponisten über die Werkästhetik hinaus berührenden Grundfragen menschlicher Existenz und Kunstreligion. Zumindest musikalisch, wenn auch nicht textlich (Schönberg hatte das Libretto selbst verfaßt und zu Lebzeiten publiziert), mußten diese Fragestellungen in ihrer Gesamtheit unbeantwortet bleiben: Die Jakobsleiter blieb trotz einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung fragmentarisch. Dem Oratorium vorausgegangen waren Pläne zu einer großangelegten Symphonie für Soli, Chor und Orchester mit der Jakobsleiter als letztem Satz - eine konzeptionelle Anknüpfung an Gustav Mahlers 8. Symphonie. Die Symphonie wiederum ist dem Plan der Vertonung von Honoré de Balzacs Roman Seraphita rückverbunden. Das erste erhaltene Dokument mit Bezug auf den Jakobsleiter-Stoff ist ein Brief Schönbergs an seinen Schüler Alban Berg vom Frühjahr 1911, in dem er ihm vom Plan zur Vertonung des Fragments Jakob ringt aus August Strindbergs Legenden berichtet.
Der im Kontext einer persönlichen Begegnung von Arnold Schönberg und Richard Dehmel in Hamburg im Herbst 1912 begonnene Briefwechsel mit dem Dichter belegt, daß sich der Komponist zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Idee eines szenischen Oratoriums bzw. monumentalen Bühnenwerks beschäftigte: »Nämlich: ich will seit langem ein Oratorium schreiben, das als Inhalt haben sollte: wie der Mensch von heute, der durch den Materialismus, Sozialismus, Anarchie durchgegangen ist, der Atheist war, aber sich doch ein Restchen alten Glaubens bewahrt hat (in Form von Aberglauben), wie dieser moderne Mensch mit Gott streitet (siehe auch ‚Jakob ringt‘ von Strindberg) und schließlich dazu gelangt, Gott zu finden und religiös zu werden. Beten zu lernen!« (Brief vom 13. Dezember 1912) Ende 1914 überlegte Schönberg ein neues Formkonzept: eine (Programm-) Symphonie, die aus den Sätzen Lebens­wende, Lebenslust, Schöpfungsfeier (Richard Dehmel), einem Zwischenspiel und einem Psalm im ersten Teil sowie den Abschnitten Totentanz der Prinzipien und Glauben des Desillusionierten (mit Bibelzitaten) im zweiten Teil bestehen sollte. In einem ungedruckten Artikel aus Schönbergs Nachlaß findet sich zudem der Hinweis: I had made plans for a great symphony of [which] the Jakobsleiter should be the last movement. I have sketched many themes, among them one for a scherzo which consisted of all the twelve tones.
Unmittelbar nach Abschluß der Dichtung »Totentanz der Prinzipien« am 15. Januar 1915 begann Schönberg mit dem Text zur »Jakobsleiter« der im frühen, mit »18/1. 1915« datierten werkgenetischen Stadium die Thematisierung der »Vereinigung nüchtern, skeptischen Realitätsbewußtseins mit dem Glauben« vorsah. Die am 4. Mai 1915 begonnenen musikalischen Skizzen deuten schließlich darauf hin, daß Schönberg bereits zu diesem Zeitpunkt an eine Trennung des Stoffes in eine instrumentale Symphonie und ein Vokalwerk auf den »Jakobsleiter«-Text gedacht hatte. Die Reinschrift des Librettos ist mit 26. Mai 1917 datiert. Nach weiteren musikalischen Skizzen Anfang Juni 1917 nahm Schönberg Korrekturen an der Dichtung vor und setzte am 19. Juni mit dem Particell der nunmehr vom Symphonie-Fragment abgespaltenen Komposition fort. Zu diesem Zeitpunkt dachte er bereits über eine szenische Realisation nach, für die er Adolf Loos als Bühnenbildner gewinnen wollte.
Im Herbst 1917 veröffentlichte die Universal Edition den Text der »Jakobsleiter«, der die Gottsuche exemplarisch mittels archetypischer Gestalten darstellt: Ein Berufener, ein Aufrührerischer, ein Ringender, ein Auserwählter, ein Mönch und schließlich ein Sterbender werden von Gabriel an einen Ort gewiesen, der anders ist, als ihre Wünsche und Hoffnungen wähnen. In einem symphonischen Zwischenspiel werden die Wandlungen der Seelen gezeigt, die, je nach Verdienst, in immer neuen Inkarnationen trotz der Leitung durch Dämonen, Genien und Engel nicht aus dem Kreis dieser fortwährenden Wandlungen herauszufinden vermögen, bis sie Gabriel, am Ende des zweiten Teils des Oratoriums, lehrt, die Vereinigung mit Gott im Gebet zu suchen und so Erlösung im Aufgehen in Gott zu finden.
Gegenüber seinem Schwager Alexander von Zemlinsky äußerte sich Schönberg über die Schwierigkeiten, an der Komposition wieder anknüpfen zu können: Eine solche Unterbrechung ist so unnatürlich, daß ich mich schwer wieder ins Geleise finde. Ende Juni 1921 nahm Schönberg mit Skizzen zum zweiten Teil den Entwurf wieder auf. Eine intensivere Beschäftigung fand im Frühjahr 1922 statt, als er an Schlußchor, Chor- und Orchesterverteilung arbeitete und mit der Ausbildung neuer Formprinzipien, welche schließlich die Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen markierten, etwa zeitgleich eine neue Epoche der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts einleitete.
Inwieweit die vorläufige Zäsur in der Beschäftigung mit dem Jakobsleiter-Oratorium (weitere Skizzen datieren mit April sowie Juli 1922) mit dem im Vorjahr stattgefundenen Mattsee-Ereignis (einem antisemitischen Pogrom in der Salzburger Sommerfrische, das die Vertreibung jüdischer Gäste - darunter Schönberg - zur Folge hatte) in Verbindung zu bringen ist, muß Spekulation bleiben. Fest steht, daß die durch zeit- und gesellschaftspolitische Zusammenhänge initiierte, forcierte Thematisierung jüdischer Identität die Periode der theosophischen und esoterischen Reflexion auf ästhetischer Ebene beendete und erst nach Schönbergs Weggang aus Österreich im Opus magnum Moses und Aron sowie dem zionistischen Drama Der biblische Weg eine neue künstlerische Sublimierung erfuhr. Schönberg bekannte indes, den Stoff der Jakobsleiter als Gleichnis für das Ringen des modernen Menschen um den Glauben, als Sinnbild einer aktuellen Problematik aufzufassen: [V]ielleicht war das Ärgste doch die Umstürzung all dessen, woran man früher geglaubt hat. [...] Was ich meine, würde Ihnen am besten meine Dichtung ‚Jakobsleiter‘ (ein Oratorium) sagen: ich meine - wenn auch ohne alle organisatorischen Fesseln - die Religion. Mir war sie in diesen Jahren meine einzige Stütze - es sei das hier zum erstenmal gesagt. (Brief an Wassily Kandinsky vom 20. Juli 1922)
Im Oktober des folgenden Jahres starb Schönbergs Frau Mathilde, der er mit einem Requiem ein künstlerisches Denkmal zu setzen beabsichtigte, daß noch in vielen hundert Jahren man den Namen Mathilde mit der Bewunderung nennen wird, wie sie eine Frau verdient, die imstande war solche Liebe zu wecken, wie Du! Alle Welt soll Dich verehren. Das soll der Dank sein für das, was Du mir geschenkt hast. (Notiz Schönbergs vom 15. November 1923) Es gibt zwar keine musikalischen Quellen zu der von Schönberg selbst verfaßten Textvor­lage, die ursprüngliche Werkintention zielte jedoch auf eine Komposition ab, worauf sowohl Notizen im autographen Manuskript als auch ein Brief an Mathildes Bruder Alexander von Zemlinsky hindeuten.
Ab den frühen 1920er Jahren kam die Vollendung der Jakobsleiter trotz zahlreicher Absichtserklärungen über das Planungsstadium nicht mehr hinaus. Einen vorletzten Versuch unternahm der seit 1933 im amerikanischen Exil lebende Schönberg im Januar 1945, als er bei der Guggenheim Foundation um ein Stipendium zur Fertigstellung von Jakobsleiter, Moses und Aron und Lehrbüchern ansuchte und die notwendige Arbeitszeit zur Vollendung des Oratoriums mit eineinhalb bis zwei Jahren projektierte. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt. Als schließlich Hermann Scherchen, der neben seiner Tätigkeit als Dirigent auch den von ihm gegründeten Ars Viva-Verlag in Zürich leitete, mit dem Wunsch nach neuen Kompositionen an Schönberg herantrat, plante dieser zumindest einen Teil aus dem Particell der Jakobsleiter in Partiturform zu übertragen, was aufgrund eines fortgeschrittenen Augenleidens nur mehr mühsam zu bewerkstelligen war. Am 22. Mai 1950 schrieb er an Scherchen: Stil: es ist keine 12-Ton Komposition, sondern entspricht eher dem Stil meiner Erwartung und Glücklichen Hand. [...] Ich nehme an, dass es 3/4 Stunden sein können. Das kann aber ganz falsch sein. Es könnte eben so gut 5/4 Stunden dauern. Das Vorhaben, zumindest den ersten Teil der Jakobsleiter unter Scherchens Leitung in Genf uraufzuführen, konnte sich nicht realisieren lassen (Scherchen dirigierte 1951 in Darmstadt die Uraufführung des Tanzes um das Goldene Kalb aus der ebenfalls unvollendeten Oper Moses und Aron). Erst nach Schönbergs Tod wurde im Auftrag von dessen Witwe Gertrud durch seinen ehemaligen Schüler Winfried Zillig aus den autographen Quellen eine Partitur hergestellt. Die konzertante Uraufführung des Jakobsleiter-Fragments fand am 16. Juni 1961 im Wiener Konzerthaus unter der Leitung von Rafael Kubelik statt, die szenische Erstaufführung am 14. August 1968 in Santa Fe, New Mexico.
(Therese Muxeneder)


Gesamtausgabe: Reihe A, Band 29

zurück