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Adelaide op. 46 von Ludwig van Beethoven [verschollen]

Entstehungszeitraum: 19.02.1912-24.02.1912
Uraufführung: 1. März 1912, Berlin/Philharmonie (Berliner Philharmonisches Orchester, Oskar Fried, Julia Culp) [Berliner Tageblatt, 1. März 1912, S. 12]

Beschreibung:

Schönberg hatte in der Zeit vor dem Krieg niemals ein geregeltes Einkommen; einmal ging es besser, einmal schlechter. Immer wieder war er geneigt, Aufträge, etwas zu instrumentieren, anzunehmen. Noch 1911 arbeitete er für Bruno Granichstaetten (1879-1944), dessen Operetten gelegentlich als feingearbeitet charakterisiert werden [Riemann Musik Lexikon, Personenteil I, hg. v. W. Gurlitt, 1959, S. 669. Ein in mancher Hinsicht interessantes Dokument ist der Brief Schönbergs an Granichstaetten vom 17. Januar 1911]. Wie willkommen mußte Schönberg bei dieser Sachlage ein Auftrag wie der der damals ob ihrer Interpretationskunst geschätzten und weithin bekannten niederländischen Liedsängerin Julia Culp (1880-1970), einer Mezzosopranistin, sein, für sie Lieder des klassisch-romantischen Repertoires zu instrumentieren. Zunächst erreichte Schönberg, als es ihm gerade besonders schlecht ging, am 19. Februar 1912, die Anfrage, ob er bereit wäre, Beethovens Adelaide zu orchestrieren. Er sagte sofort zu und notierte sich in seinem Tagebuch alsbald einige einschlägige Überlegungen. Er hat diese Aufgabe sogleich als künstlerische akzeptiert, also sofort mit der Arbeit begonnen.

Montag, 19. Februar. Gegen Abend telefonierte Erich J. Wolff und fragte, ob ich bereit sei, für Frau Culp die ,Adelaide‘ von Beethoven zu instrumentieren. Ich sagte sofort zu, denn dergleichen hätte ich ohnedies schon lange gerne gemacht. Ich glaube bestimmt, daß, wenn man Lieder schon in einem großen Saal singt, man sie wenigstens mit Orchester singen müßte. Und wenn wir berechtigt sind, klassische Musik auf unseren modernen Flügeln mit ihrem kolossalen Ton zu spielen, dann können wir's wohl noch eher im Orchester tun. Natürlich muß eine solche Übertragung mit vielem Takt geschehen. Keine Effekte! sondern nur die Klänge, die Beethoven selbst geschrieben hätte. Aber mit unseren Mitteln! Gleich so hinschreiben, daß der Klang, den wir aus einer Beethoven-Partitur nur mit Mühe herausbekommen, daß dieser Klang von selbst da ist. Ich nahm also an, obwohl ich die Partitur bis zum 24. fertigbringen müßte und obwohl ich am 21. Februar fortgefahren bin. - Am nächsten Tag, 20. Februar, holte ich vormittags bei Frau Culp die Noten ab, ließ mir das Stück noch vorsingen und verabredete wegen des Honorars. (Ich sagte 200 bis 300 Mark, ein Glücksfall übrigens für mich, der mir wieder ein Gefühl in Erinnerung brachte, das ich so oft in dieser Zeit hatte: „daß ich in Gottes Hand sei". Denn ohne dieses Honorar hätte ich am 1. März kein Geld gehabt. Das kam wieder zur rechten Zeit.) Frau Culp hat eine schöne, etwas versungene Stimme, ist aber leider wenig musikalisch. Im übrigen will sie, daß ich ihr noch einige klassische Lieder instrumentiere, worauf ich mich sehr freue. Ich will ihr selbst Vorschläge machen. Mittags setzte ich mich hin und arbeitete bis 8 Uhr abends, wodurch ich beinahe die Hälfte fertigbrachte. Und wie mir scheint: die bessere Hälfte. Ich bin jetzt noch damit mehr zufrieden als mit dem zweiten Teil, in dem einiges sehr gut, ein paar Stellen aber ohne rechten Einfall sind. Ich muß das noch einmal revidieren.
[Schönberg: Berliner Tagebuch, S. 27 f.]

Die Aufführung fand bereits am 29. Februar 1912 [recte: 1. März 1912] in Berlin statt, aber Schönberg war nicht zugegen. Er kam an diesem Tage gerade mit Anton von Webern von einer anstrengenden Reise aus Prag zurück. Im Tagebuch heißt es: Ankunft 7 Uhr. Webern ging noch ins Konzert Culp-Fried, wo nun die „Adelaide" aufgeführt wird [Arnold Schönberg: Berliner Tagebuch, hg. von Josef Rufer, Berlin 1974, S. 33] Am 2. März berichtete Edward Clark (1876-1957), ein ergebener und stets seinem Meister hilfreicher Schüler Schönbergs, „Adelaide" habe gutgeklungen [Schönberg: Berliner Tagebuch] Auch die Kritik war geneigt. Georg Schünemann schrieb über die Uraufführung: Einen großen Genuß verschaffte ihren Hörern wieder Julia Culp. Sie sang mit klangvoller, herrlich timbrierter Stimme Lieder von Beethoven, darunter die Adelaide in einer guten Instrumentierung Arnold Schönbergs. Die Begleitung besorgten die Philharmoniker unter Leitung Oscar Frieds [Georg Schünemann, in: Die Musik XI/3, 1912, S. 49] Julia Culp hat diese Instrumentation anschließend an verschiedenen Orten aufgeführt, so unter anderem auch im Gewandhaus Leipzig. Walter Niemann, der auch als Musikschriftsteller fleißige Komponist halbimpressionistischer Klavierminiaturen, fand, obgleich alles andere als ein Freund Neuer Musik, die Orchestrierung reizend gemacht [Walter Niemann, in: Die Musik XII/1, 1912, S. 190. Hier ist nach dem Ausdruck der Verwunderung über so wenig Neues in diesen Konzerten zu lesen: Oder soll man Arnold Schönbergs an sich reizend gemachte Orchestrierung von Beethovens ausgesprochenem Klavierlied ,Adelaide‘, die seine ganze schwärmerische Intimität notwendig zerstören muß, und die Julia Culp ganz heimlich ins Gewandhaus schmuggelte, als neue Errungenschaft preisen? Ich hoffe nicht.]
Jahre später, nachdrücklich im Herbst 1927, hat sich Schönberg über seinen Verlag, der seinerseits einen Mittelsmann einschaltete, bemüht, von der Auftraggeberin, die ihre Konzerttätigkeit mittlerweile eingestellt hatte, die Manuskripte seiner Instrumentationen (siehe auch Bearbeitungen von Liedern Franz Schuberts) zurückzuerhalten. Er war sogar entschlossen, sie zu veröffentlichen. Diesen Bemühungen war jeglicher Erfolg versagt, weil die Materiale mittlerweile offenbar untergegangen waren. Warum hätte Julia Culp sie nicht zurückgeben sollen, wenn sie sie noch besessen hätte? So müssen diese Bearbeitungen, Partitur und Orchestermateriale, heute als verschollen gelten.
(GA, Reihe B, Bd. 25/26, S. XXI-XXII, XXIV)

Gattung: Bearbeitungen --> Bearbeitungen für Orchester
beteiligte Personen: Ludwig van Beethoven (1770-1827) - Komponist(in)
Julia Culp (1880-1970) - Auftraggeber(in)
Julia Culp (1880-1970) - Interpret(in)
Arnold Schönberg (1874-1951) - Arrangeur(in)

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