I. TEIL 1. Mondestrunken
Den Wein, den man mit Augen trinkt,
Gießt nachts der Mond in Wogen nieder,
Und eine Springflut überschwemmt
Den stillen Horizont.
Gelüste, schauerlich und süß,
Durchschwimmen ohne Zahl die Fluten!
Den Wein, den man mit Augen trinkt,
Gießt nachts der Mond in Wogen nieder.
Der Dichter, den die Andacht treibt,
Berauscht sich an dem heilgen Tranke,
Gen Himmel wendet er verzückt
Das Haupt und taumelnd saugt und schlürft er
Den Wein, den man mit Augen trinkt.
2. Colombine
Des Mondlichts bleiche Blüten,
Die weißen Wunderrosen,
Blühn in den Julinächten –
O, bräch ich eine nur!
Mein banges Leid zu lindern,
Such ich am dunklen Strome
Des Mondlichts bleiche Blüten,
Die weißen Wunderrosen.
Gestillt wär all mein Sehnen,
Dürft ich so märchenheimlich,
So selig leis – entblättern
Auf deine braunen Haare
Des Mondlichts bleiche Blüten!
3. Der Dandy
Mit einem phantastischen Lichtstrahl
Erleuchtet der Mond die krystallnen Flakons
Auf dem schwarzen, hochheiligen Waschtisch
Des schweigenden Dandys von Bergamo.
In tönender, bronzener Schale
Lacht hell die Fontäne, metallischen Klangs.
Mit einem phantastischen Lichtstrahl
Erleuchtet der Mond die krystallnen Flakons.
Pierrot mit wächsernem Antlitz
Steht sinnend und denkt: wie er heute sich schminkt?
Fort schiebt er das Rot und des Orients Grün
Und bemalt sein Gesicht in erhabenem Stil
Mit einem phantastischen Mondstrahl.
4. Eine blasse Wäscherin
Eine blasse Wäscherin
Wäscht zur Nachtzeit bleiche Tücher;
Nackte, silberweiße Arme
Streckt sie nieder in die Flut.
Durch die Lichtung schleichen Winde,
Leis bewegen sie den Strom.
Eine blasse Wäscherin
Wäscht zur Nachtzeit bleiche Tücher.
Und die sanfte Magd des Himmels,
Von den Zweigen zart umschmeichelt,
Breitet auf die dunklen Wiesen
Ihre lichtgewobenen Linnen –
Eine blasse Wäscherin.
5. Valse de Chopin
Wie ein blasser Tropfen Bluts
Färbt die Lippen einer Kranken,
Also ruht auf diesen Tönen
Ein vernichtungsücht‘ger Reiz.
Wilder Lust Akkorde stören
Der Verzweiflung eisgen Traum
Wie ein blasser Tropfen Bluts
Färbt die Lippen einer Kranken.
Heiß und jauchzend, süß und schmachtend,
Melancholisch düstrer Walzer,
Kommst mir nimmer aus den Sinnen,
Haftest mir an den Gedanken
Wie ein blasser Tropfen Bluts!
6. Madonna
Steig, o Mutter aller Schmerzen,
Auf den Altar meiner Verse!
Blut aus deinen magern Brüsten
Hat des Schwertes Wut vergossen.
Deine ewig frischen Wunden
Gleichen Augen, rot und offen.
Steig, o Mutter aller Schmerzen,
Auf den Altar meiner Verse!
In den abgezehrten Händen
Hältst du deines Sohnes Leiche,
Ihn zu zeigen aller Menschheit –
Doch der Blick der Menschen meidet
Dich, o Mutter aller Schmerzen!
7. Der kranke Mond
Du nächtig todeskranker Mond
Dort auf des Himmels schwarzem Pfühl,
Dein Blick, so fiebernd übergroß,
Bannt mich, wie fremde Melodie.
An unstillbarem Liebesleid
Stirbst du, an Sehnsucht, tief erstickt,
Du nächtig todeskranker Mond,
Dort auf des Himmels schwarzem Pfühl.
Den Liebsten, der im Sinnenrausch
Gedankenlos zur Liebsten geht,
Belustigt deiner Strahlen Spiel, –
Dein bleiches, qualgebornes Blut,
Du nächtig todeskranker Mond!
II. TEIL
8. Nacht
Finstre, schwarze Riesenfalter
Töteten der Sonne Glanz.
Ein geschloßnes Zauberbuch,
Ruht der Horizont – verschwiegen.
Aus dem Qualm verlorner Tiefen
Steigt ein Duft, Erinnrung mordend!
Finstre, schwarze Riesenfalter
Töteten der Sonne Glanz.
Und vom Himmel erdenwärts
Senken sich mit schweren Schwingen
Unsichtbar die Ungetüme
Auf die Menschenherzen nieder...
Finstre, schwarze Riesenfalter.
9. Gebet an Pierrot
Pierrot! mein Lachen
Hab ich verlernt!
Das Bild des Glanzes Zerfloß – ,
Zerfloß!
Schwarz weht die Flagge
Mir nun vom Mast.
Pierrot! mein Lachen
Hab ich verlernt!
O gib mir wieder,
Roßarzt der Seele,
Schneemann der Lyrik,
Durchlaucht vom Monde,
Pierrot – mein Lachen!
10. Raub
Rote, fürstliche Rubine,
Blutge Tropfen alten Ruhmes
Schlummern in den Totenschreinen,
Drunten in den Grabgewölben.
Nachts, mit seinen Zechkumpanen,
Steigt Pierrot hinab, zu rauben
Rote, fürstliche Rubine,
Blutge Tropfen alten Ruhmes.
Doch da sträuben sich die Haare,
Bleiche Furcht bannt sie am Platze:
Durch die Finsternis, wie Augen! –
Stieren aus den Totenschreinen
Rote, fürstliche Rubine.
11. Rote Messe
Zu grausem Abendmahle
Beim Blendeglanz des Goldes,
Beim Flackerschein der Kerzen,
Naht dem Altar – Pierrot!
Die Hand, die gottgeweihte,
Zerreißt die Priesterkleider
Zu grausem Abendmahle
Beim Blendeglanz des Goldes.
Mit segnender Gebärde
Zeigt er den bangen Seelen
Die triefend rote Hostie:
Sein Herz in blutgen Fingern
Zu grausem Abendmahle
12. Galgenlied
Die dürre Dirne
Mit langem Halse
Wird seine letzte
Geliebte sein.
In seinem Hirne
Steckt wie ein Nagel
Die dürre Dirne
Mit langem Halse.
Schlank wie die Pinie,
Am Hals ein Zöpfchen,
Wollüstig wird sie
Den Schelm umhalsen
Die dürre Dirne!
13. Enthauptung
Der Mond, ein blankes Türkenschwert
Auf einem schwarzen Seidenkissen,
Gespenstisch groß – dräut er hinab
Durch schmerzensdunkle Nacht.
Pierrot irrt ohne Rast umher
Und starrt empor in Todesängsten
Zum Mond, dem blanken Türkenschwert
Auf einem schwarzen Seidenkissen.
Es schlottern unter ihm die Knie,
Ohnmächtig bricht er jäh zusammen.
Er wähnt: es sause strafend schon
Auf seinen Sündenhals hernieder
Der Mond, das blanke Türkenschwert.
14. Die Kreuze
Heilge Kreuze sind die Verse,
Dran die Dichter stumm verbluten,
Blindgeschlagen von der Geier
Flatterndem Gespensterschwarme.
In den Leibern schwelgten Schwerter,
Prunkend in des Blutes Scharlach!
Heilge Kreuze sind die Verse,
Dran die Dichter stumm verbluten.
Tot das Haupt, erstarrt die Locken –
Fern verweht der Lärm des Pöbels.
Langsam sinkt die Sonne nieder,
eine rote Königskrone.
Heilge Kreuze sind die Verse.
III. TEIL
15. Heimweh
Lieblich klagend – ein krystallnes Seufzen
Aus Italiens alter Pantomime,
Klingt‘s herüber: wie Pierrot so hölzern,
So modern sentimental geworden.
Und es tönt durch seines Herzens Wüste,
Tönt gedämpft durch alle Sinne wieder,
Lieblich klagend – ein krystallnes Seufzen
Aus Italiens alter Pantomime.
Da vergißt Pierrot die Trauermienen!
Durch den bleichen Feuerschein des Mondes,
Durch des Lichtmeers Fluten schweift die Sehnsucht
Kühn hinauf, empor zum Heimathimmel,
Lieblich klagend ein krystallnes Seufzen.
16. Gemeinheit
In den blanken Kopf Cassanders,
Dessen Schrein die Luft durchzetert,
Bohrt Pierrot mit Heuchlermienen
Zärtlich – einen Schädelbohrer.
Darauf stopft er mit dem Daumen
Seinen echten türkschen Tabak
In den blanken Kopf Cassanders,
Dessen Schrein die Luft durchzetert.
Dann dreht er ein Rohr von Weichsel
Hinten in die glatte Glatze
Und behaglich schmaucht und pafft er
Seinen echten türkschen Tabak
Aus dem blanken Kopf Cassanders!
17. Parodie
Stricknadeln, blank und blinkend,
In ihrem grauen Haar,
Sitzt die Duenna murmelnd,
Im roten Röckchen da.
Sie wartet in der Laube,
Sie liebt Pierrot mit Schmerzen,
Stricknadeln, blank und blinkend,
In ihrem grauen Haar.
Da plötzlich – horch – ein Wispern!
Ein Windhauch kichert leise:
Der Mond, der böse Spötter,
Äfft nach mit seinen Strahlen
Stricknadeln, blink und blank.
18. Der Mondfleck
Einen weißen Fleck des hellen Mondes
Auf dem Rücken seines schwarzen Rockes,
So spaziert Pierrot im lauen Abend,
Aufzusuchen Glück und Abenteuer.
Plötzlich stört ihn was an seinem Anzug,
Er besieht sich rings und findet richtig –
Einen weißen Fleck des hellen Mondes
Auf dem Rücken seines schwarzen Rockes.
Warte! denkt er: das ist so ein Gipsfleck!
Wischt und wischt, doch bringt ihn nicht herunter!
Und so geht er giftgeschwollen weiter,
Reibt und reibt bis an den frühen Morgen
Einen weißen Fleck des hellen Mondes.
19. Serenade
Mit groteskem Riesenbogen
Kratzt Pierrot auf seiner Bratsche.
Wie der Storch auf einem Beine
Knipst er trüb ein Pizzicato.
Plötzlich naht Cassander, wütend
Ob des nächtigen Virtuosen.
Mit groteskem Riesenbogen
Kratzt Pierrot auf seiner Bratsche.
Von sich wirft er jetzt die Bratsche:
Mit der delikaten Linken
Fasst er den Kahlkopf am Kragen –
Träumend spielt er auf der Glatze
Mit groteskem Riesenbogen.
20. Heimfahrt
Der Mondstrahl ist das Ruder,
Seerose dient als Boot,
Drauf fährt Pierrot gen Süden
Mit gutem Reisewind.
Der Strom summt tiefe Skalen
Und wiegt den leichten Kahn.
Der Mondstrahl ist das Ruder,
Seerose dient als Boot.
Nach Bergamo, zur Heimat,
Kehrt nun Pierrot zurück;
Schwach dämmert schon im Osten
Der grüne Horizont.
Der Mondstrahl ist das Ruder.
21. O alter Duft
O alter Duft aus Märchenzeit,
Berauschest wieder meine Sinne!
Ein närrisch Heer von Schelmerein
Durchschwirrt die leichte Luft.
Ein glückhaft Wünschen macht mich froh
Nach Freuden, die ich lang verachtet.
O alter Duft aus Märchenzeit,
Berauschest wieder mich.
All meinen Unmut geb ich preis;
Aus meinem sonnumrahmten Fenster
Beschau ich frei die liebe Welt
Und träum hinaus in selge Weiten...
O alter Duft aus Märchenzeit!