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Von heute auf morgen. Oper in einem Akt

Opus: op. 32
Entstehungszeitraum: 25.10.1928-03.08.1929
Uraufführung: 1. Februar 1930, Frankfurt am Main, Opernhaus (Benno Ziegler, Mann; Else Gentner-Fischer, Frau; Elisabeth Friedrich, Freundin; Anton M. Topitz a.G., Sänger; Kl. Nitzschker, Kind; Herbert Graf, Regie; Ludwig Sievert, Bühnenbild; Hans Wilhelm Steinberg, D).
Quellen:

Zwölftonreihen und -tabellen

Skizzen

Erste Niederschrift als Particell

Photonegativ des Particells [A]

Eigenhändige Partiturreinschrift

Transparentreinschrift von fremder Hand

Eigenhändige Niederschrift des Klavierauszugs, Takt 453-1131

Entwurf einer Begleitbroschüre zum Druck

Korrektur-Listen

Orchestrierungstabellen

Entwurf eines Titelblattes

Transparentreinschrift (Fragment)

Stichanweisungen

Herstellungskalkulation, Signaturen, Listen von Aufführungsorten
Weitere Quellen:

Erster Originaldruck der Partitur, Berlin-Charlottenburg 1929, im Selbstverlag des Komponisten

Transparentreinschrift, teilweise autograph

Zweiter Originaldruck der Partitur, Berlin-Charlottenburg 1930, im Selbstverlag des Komponisten, Auslieferung und Bühnenvertrieb: Edition B. Balan, Berlin-Charlottenburg

Schönbergs Handexemplar des zweiten Originaldrucks [D] und Dirigierpartitur

Transparentreinschrift des Notenteils. Klavierauszug

Erster Originaldruck des Klavierauszug, Berlin-Charlottenburg 1929, Im Selbstverlag des Komponisten

Zweiter Originaldruck, Klavierauszug, Berlin-Charlottenburg 1930, im Selbstverlag des Komponisten, Auslieferung und Bühnenvertrieb: Edition B. Balan, Berlin-Charlottenburg

Gespräch zu zweit, zu dritt, zu zweit und dann wieder zu dritt

Text, wie er Schönberg bei der Komposition der Niederschrift des Particells [A] vorlag; nur S. 7

Textbuch

Schönbergs Handexemplar beim Partiturschreiben

Gedrucktes Textbuch

Beschreibung:

Arnold Schönbergs einaktige Oper Von heute auf morgen ist das erste Bühnenwerk, das auf der Grundlage zwölftöniger Reihen komponiert wurde; es entstand in den letzten Mo­naten des Jahres 1928, die Partitur wurde am 3. August 1929 beendet.
Vielleicht zum ersten und einzigen Mal befand sich die innere Konsequenz der kompositorischen Entwicklung Schönbergs im Gleichklang mit einer äußeren Tendenz - der aktuellen Neigung zur Zeitoper -, und doch löste das spätere Schicksal des Werkes die Hoffnungen nicht ein, die Schönberg aufs unmittelbare Verständnis der Zeitgenossen setzte.
Seitdem Schönberg nach 1921 seinem engsten Freundeskreis Mitteilung von der neuen Kompositionstechnik gemacht hatte, hatten er, Berg, Webern und Eisler die Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen zunächst in ver­schiedenen Kammermusikbesetzungen erprobt und diese dann schrittweise bis zum Septett (Schönberg, Suite op. 29, 1926) und zur klein besetzten Symphonie (Webern, op. 21, 1928) erweitert.
Im Sommer 1928 beendete Schönberg die Particellnieder­schrift der schon vor zwei Jahren, im Frühjahr 1926, zu drei Vierteln . . . fertig gemachten (Arnold Schönberg, Briefe ausgewählt und herausgegeben von E. Stein, Mainz 1958, S. 139) Variationen für Orcehster, op. 31.
Die unverkennbare Neigung zur größer disponierten Form in diesen Jahren korrespondiert mit der persönlichen Situation Schönbergs, dem nach seinem fünfzigsten Geburtstag jene Anerkennung und Wirksamkeit zufielen, die ihm zuvor versagt geblieben waren.
Bis 1924 galt Schönberg, ungeachtet seines europäischen Ruhms und Einflusses, in Wien, dessen Operettenkompo­nisten Weltkrieg und Zusammenbruch der Monarchie un­beschadet überstanden hatten, mehr als psychopathischer Außenseiter denn als ernst zu nehmender Musiker; nur ein sehr kleiner Kreis von Freunden hielt in einem feindseligen Klima die Treue.
Die Berufung nach Berlin befreite Schönberg 1926 aus dem Zwang drückender materieller Umstände; als Leiter einer Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akade­mie der Künste konnte er - bei großzügiger Urlaubsrege­lung - ausreichende Zeit der Komposition widmen; die Stadt, nach der Inflationsnot bei zunehmender ökonomischer Stabilisierung zum Nabel der Welt für alle neuen Entwick­lungen der Kunst geworden, ermöglichte ihm den Kontakt mit versierten Interpreten und die Konfrontation mit einem aufgeschlossenen Publikum. Ohne daß die Strenge sich ge­mildert hätte, spricht Schönbergs Physiognomie in jenen Jahren von einem veränderten Selbstbewußtsein; der Habi­tus wendet sich manchmal zum Eleganten.
Die unmittelbare Teilnahme an der Gegenwart, wie sie sich etwa in den ersten Entwürfen zu op. 29 - 1. (Satz) 6/8 leicht, elegant, flott, Bluff ! 2. Jo Jo-Foxtrott / . . . 6. Film D[i]va / 7. Tenn[is] Ski - niederschlägt, konnte freilich nicht be­wirken, daß Schönberg mit dem Zeitgeist übereinstimmte -, die furiosen Polemiken nach allen Seiten, gegen Konser­vative, Neoklassizisten und Folkloristen (Satiren op. 28), be­zeugen es; aber er erscheint plötzlich als ein alter Meister, ein Romantiker, wie er sich selber ironisch nennte, den die Jüngeren zwar respektieren, aber doch schon dem Gestern zuzählen.
Die Position zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwi­schen Tradition und Mode ist der doppelte Boden von Schönbergs heiterer Oper. Vor dem Hintergrund der Ge­genwart, Kreneks Jonny spielt auf (Leipzig 1927), Weills Mahagonny-Singspiel (Baden-Baden 1927) und Dreigroschen­oper (Berlin 1928), Strawinskys Oedipus rex (Paris 1927, szenisch Berlin 1928), läßt sich Von heute auf morgen mit der Mode ein, um Tradition, ja Konvention zu verteidigen. Wahrscheinlich entstand das Libretto (als Satire auf das Eheleben eines sehr nahen Verwandten) im Herbst 1928 an der Riviera.
Am 21. August hatte Schönberg das Particell von op. 31 be­endet, am 20. September die Partiturreinschrift. Zwischen dem 3. und 16. Oktober schrieb er eine erste oratorische Fassung des Textes von Moses und Aron und schloß am 11. Oktober die schon im Mai begonnene Orchesterbear­beitung von J. S. Bachs Präludium und Fuge in Es-Dur für Orgel ab.
Die Zeit zwischen diesem Datum und der ersten Particell-Skizze zu Von heute auf morgen vom 21. Oktober galt wohl der Redaktion des Textes, an dem Schönberg, wie er später Berg mitteilte, fest mitgearbeitet hat.
Die Niederschrift des Particells, die eigentliche Komposi­tion, nahm die Zeit vom 25. Oktober bis zum 1. Januar 1929 in Anspruch; im Durchschnitt komponierte Schönberg an einem Tag 25 Takte.
Die Instrumentationsangaben des Particells stimmen fast ohne Ausnahme mit der Partitur überein; man könnte sich vorstellen, daß sie vielleicht erst nach dem 1. Januar 1929 in einem eigenen Arbeitsgang ins Particell eingetragen wurden. Noch bevor die Arbeit endgültig abgeschlossen war, am 25. Dezember 1928, entwarf Schönberg das Klavierstück op. 33a und begann am 18. Januar 1929 mit der ersten, unvollständig gebliebenen Reinschrift der Partitur.
Schönberg war sicher, mit seiner heiteren Oper einen Po­pulärerfolg - vergleichbar dem von Kreneks Jonny spielt auf- zu erreichen. Meyerowitz (Jan Meyerowitz, Arnold Schönberg, Berlin 1967) berichtet die glaubwürdige wörtliche Überlieferung, daß Schönberg einen Erfolg à la Cavalleria rusticana erwartete. Mit seiner Überzeugung löste er jedoch eine Serie von Verwicklungen aus, die das Werk unheilvoll und tragikomisch zugleich begleiteten.
Die Verlagsverhandlungen verliefen unglücklich: Schön­berg überwarf sich mit der Universal-Edition, die bis dahin die meisten seiner Kompositionen veröffentlicht hatte; auch mit Schott kam es zu keiner Einigung. Dann machte der Verlag Bote & Bock ein sehr günstiges, aber auf 24 Stunden befristetes Angebot über eine hohe Summe, aber Schönberg konnte sich nicht über die Bedenken hinwegsetzen, am 13. eines Monats einen Vertrag abzuschließen. Er ließ den Termin verstreichen und sah in der Hoffnung auf einen großen Bühnenerfolg seinen Vorteil darin, die Oper im Selbstverlag herauszugeben.
Diese Entscheidung hatte zunächst zur Folge, daß Schön­berg die bis zur Hälfte gediehene Reinschrift der Partitur (Quelle B) abbrechen mußte. Da sie auf normalem Noten­papier, im fließenden Duktus der Handschrift und ohne allzu große Rücksicht auf den Untersatz geschrieben war, hätte sie zwar beim Notenstich durch einen Verlag als Vorlage dienen können, genügte jedoch nicht den An­sprüchen einer photographischen Reproduktion des Manu­skripts, wie sie Schönberg beabsichtigte. Die für die Repro­duktion geeigneten Seiten der ersten Partiturreinschrift fügte Schönberg einer neuen, auf Transparentpapier ge­schriebenen Partitur ein, die am 3. August 1929 beendet und danach photomechanisch vervielfältigt wurde.
Während dieser Zeit bemühte sich Schönberg um die Auf­führung der Oper. Am 18. April 1929 schrieb er seinem früheren Schüler Heinrich Jalowetz, der als Dirigent an der Städtischen Oper in Köln tätig war: Die Uraufführung ist noch nicht vergeben. Am 22. April sandte er das Textbuch der Oper an Paul Bekker, der damals Generalinten­dant in Wiesbaden war und fügte hinzu:
Ich wäre augenblicklich noch in der Lage, die Uraufführung zu vergeben. Da ich jedoch, infolge eines Zwistes mit der Universal-Edition, vorläufig keinen Verleger nehmen kann, muß ich das Material selbst herstellen lassen und möchte dessen hohe Kosten auf mehrere Bühnen verteilen, und deshalb keine eigentliche Uraufführung vergeben, sondern trachten, ungefähr zehn Bühnen ohne Festsetzung eines Termines das Aufführungsrecht für die Dauer eines Jahres gegen Erwerb des Materials zu überlassen. Aus diesen Gründen kann ich Ihnen vorläufig weder eine Par­titur noch einen Klavierauszug schicken . .
Die Vorstellungen Schönbergs ließen sich nicht realisieren. Im Spätsommer entschloß sich zwar die Frankfurter Oper, Von heute auf morgen in der kommenden Saison 1929/30 aufzuführen, aber keine andere Bühne folgte.
Zuerst nahm Schönberg selbst den Vertrieb der Partitur und des am 30. September 1929 beendeten Klavierauszugs auf sich. Aus dieser Zeit, vom 4. Oktober, stammt ein Brief Schönbergs an Wilhelm Steinberg, den Dirigenten der Frankfurter Aufführung, der seine Konzeption des Werks anschaulich macht. Eine zweite Ausgabe der Partitur, in der einige handschriftliche Seiten Schönbergs durch eine Kopistenabschrift ersetzt worden waren, wurde erst kurz vor der Premiere fertiggestellt. Auslieferung und Büh­nenvertrieb übernahm der Verleger Benno Balan in Berlin-Charlottenburg.
Nicht nur konservative Trägheit der Operntheater oder Sperrigkeit gegenüber den musikalischen Anforderungen, die Schönberg stellte, waren die Ursache; sie spielten mit, aber es gab auch objektive Gründe: während des Jahres 1929, in dem Schönberg sich mit allen ägyptischen Plagen, mit Fehlern im Manuskript, im Klavierauszug, in den Stim­men, mit Kopisten, Schreibern, Lichtpausern herumschlug, ging im Schatten der heraufdämmernden Weltwirtschafts­krise der Opernboom der vergangenen Jahre zu Ende. Die Katastrophe, der Zusammenbruch der New Yorker Börse am Schwarzen Freitag, dem 24. Oktober 1929, ließ nichts in Deutschland unverändert, schon gar nicht die empfind­liche Organisation der Theater. Währungsverfall und zunehmende Arbeitslosigkeit führten sehr rasch zu Entlassungen und Spielplaneinschränkungen an allen deutschen Operntheatern.
Die Uraufführung von Schönbergs Oper am 1. Februar 1930 in Frankfurt am Main war nach den Berichten, die es davon gibt, ein vor allem von der musikalisch-szenischen Realisierung her glanzvolles Ereignis.
Sie kam jedoch zu spät; die Zeit, an die sich das Stück ge­bunden hatte, um gehört zu werden, war schon unterge­gangen, als der Vorhang sich hob.
(Neuwirth, Gösta; Okuljar, Tadeusz: GA, Reihe B, Bd. 7, Teil 2, S. 13-15)

Überliefert sind die Erste Niederschrift A, die autographe Partiturreinschrift B, der erste (C) sowie zweite (D) Originaldruck der Partitur sowie des Klavierauszugs (E, F). (nach: Neuwirth, Gösta; Okuljar, Tadeusz: GA, Reihe B, Bd. 7, Teil 2, S. 28-31)

Besetzung: Bariton, Orchester, Sopran I, Sopran II, Sprecher
Gattung: Bühnenwerke --> Oper
Text:

Text nach GA:

PERSONEN

MANN (Bariton)
FRAU (Sopran)
FREUNDIN (Sopran)
SÄNGER (Tenor)
KIND (spricht)

Ein modernes Wohnschlafzimrner. Die Schränke eingebaut, die Betten herausziehbar. Im Hintergrund eine Glasschiebetür zu Veranda und Garten. Es ist finster. Die Frau tritt ein; hinter ihr der Mann. Sie dreht ein schwaches Licht auf (eventuell Wandbeleuchtung), während er langsam, sinnend nach vorne geht und sich mit Hut und Mantel in einen Sessel setzt. Inzwischen legt die Frau ihren Mantel ab. Beide in Abendtoilette, die Frau aber derart, daß der Kleiderwechsel später entsprechende Wirkung hervorrufen kann.

Mann: (schwärmerisch) - Schön war es dort! Geh doch indes schlafen! Du weißt, ich überdenke gern die Erlebnisse des Tages.

Frau:(beim Schrank, ihren Mantel abbürstend) Ich bin gar nicht müde. Auch möcht' ich noch nachsehn, ob das Kind schläft. (ab)

Mann: Ja, das war ein entzückend lebendiges Weib! Sie geht mir nicht aus dem Kopf. Diese Augen, dieser Mund, diese herrlichen Zähne, diese schmiegsame Gestalt - - -! Na, wenn ich nicht verheiratet wär, Na, die könnte mir gefährlich werden!

Frau: (ist während der letzten Worte des Mannes zurückgekommen und hat die Betten herausgezogen) Träumst du noch immer? Oder bist du müde, du Armer? Komm doch schlafen. Ich habe schon alles zum Frühstück gerichtet und die Betten aufgemacht. Und du hast doch morgen so viel zu tun.

Mann: (verdrossen) Ach, laß mich doch. Man hat doch wirklich auf dieser Welt nur das bißchen Träumen! Immer Wirtschaft, Arbeit, Kindergeschrei Tag für Tag das Gleiche - - -! Hätte man da nicht ab und zu »mal was Andres, was Neues«, man würde vor Alltagssorgen und Langeweile ersticken.

Frau: Immer nach einem vergnügten Abend bist du schlecht gelaunt. Auch wußt' ich nicht, daß dir dein Leben so schrecklich ist. Bis jetzt glaubt' ich, wir wären sehr glücklich. Was willst du noch mehr? Hast ein schönes Heim und ein liebes Kind und ein Weib, das dich liebt - - - Also sei nicht brummig und komm! Du warst doch vorhin noch so heiter.

Mann: Ja, diesen Abend hab ich mich gut unterhalten. Da war doch deine Freundin! Die hat Laune, Witz, Geist, Humor, Charme - - -; und sie ist sehr schön.

Frau: (etwas ärgerlich) Also komm jetzt! Mann: Höre doch auf mit dem ewigen Drängen. Ich will nicht. - - - Deine Freundin - - - na, wie findest du die eigentlich?

Frau: Als ich sie heute nach so vielen Jahren wiedersah, hab' ich sie kaum erkannt; sie hat sich sehr verändert.

Mann: Sie sieht entzückend aus!

Frau: Aus der kleinen unansehnlichen Person ist ein verführerisches Weib geworden.

Mann: Eine Frau von heute.

Frau: Ja, die hat sich nicht sorgen müssen um Mann und Kinder, um Küch' und Haus. Da bleibt die Stirne glatt, die Augen strahlend; das Lächeln eines Mundes, der nie den Schmerz gekannt, erfrischt und berauscht; und die Brüste, die nur Männerlippen berührt, verändern sich nicht.

Mann: Eine eheliche Umarmung gäb ich gerne für einen sündigen Kuß dieser Lippen.

Frau: Ob sie mich wohl auch so verändert gefunden hat?

Mann: Nein, denn sie sagte mir: »Ihre Frau ist noch immer das Mädchen, das ich in meiner Schulzeit gekannt hab.«

Frau: Ja, damals ersann sie die lustigen Streiche - und ich bekam dann die Strafe! Hat sie das dir auch erzählt?

Mann: Von den Strafen, Gott sei Dank, nichts. Doch von den Streichen - die waren auch lustig. Wie du ihr immer täppisch in die Falle geplumpst: das erzählte sie wirklich reizend hübsch.

Frau: (leicht befremdet) Ihr habt euch also über mich so gut unterhalten?

Mann: Ach, bist du empfindlich. Nun tröste dich; denn der langweilige Patron, der Sänger

Frau: Der Sänger - - -

Mann: hat uns mit seinem Gesang gestört.

Frau: Die schöne Stimme!

Mann: Ich weiß nicht, was man für Vergnügen an dem ewigen Musizieren findet! Wie kann so ein Mensch nur Eindruck machen auf diese Frau? Bloß durch die Stimme? Auf diese Frau? Die nur zu wählen braucht unter den Besten?

Frau: Aber so ganz passé schein' ich ja doch nicht zu sein. Denn, nachdem ich, von dir allein gelassen, in einer Ecke dem Gesang des Sängers gelauscht, hat er, der Berühmte, sich zu mir gesetzt. Das hebt das Gefühl des eignen Werts, wenn man wieder einmal feurige Blicke, leuchtende Augen auf sich gerichtet fühlt.

Mann: Dieser Sänger, mit seinem ewigen faden Gewitzel

Frau: und weiß, daß ein Handkuß ihm mehr bedeutet

Mann: brachte uns ganz aus der Stimmung.

Frau: und Seligeres fühlen macht, als manche Umarmung den eigenen Mann (macht sich im Zimmer zu schaffen).

Mann: Wie gut, daß er dann wo anders sein Glück versuchte! denn sogar diese geistreiche Frau lauschte interessiert.

Frau: Köstlich, wie er mit Todesernst sagte: (kopiert den Sänger) »Ich habe beschlossen, Bassist zu werden: seit ich in die Tiefe Ihrer Augen geblickt, ist mir meine Höhe ... ist's mir auf meiner Höhe zu einsam.« So ein verrückter Kerl! (lacht)

Mann: Warum lachst du?

Frau: Über den Sänger. Mann: Ja, der ist wirklich lächerlich.

Frau: So war es nicht gemeint. Er machte mir auf so unterhaltende Weise den Hof.

Mann: (ungläubig): Dir?

Frau: Warum wundert dich das? Höre, ich muß dir's erzählen; du wirst lachen (lacht).

Mann: Bitte, nein; ich bin nicht neugierig.

Frau: Du hast mich doch gefragt! Stört dich das in deinen Gedanken?

Mann: Was weißt du davon?

Frau: (allmählich aufgeregter) Glaubst du denn, ich weiß nicht den Punkt, um den sie sich drehn? (plötzlich sehr ruhig, verhalten:) Es ist meine Freundin. Warum leugnen? Ja! Also ist sie dir lieber als ich? Dürfte sie mir denn besser gefallen? Ich frage dich, weil ich ja weiß, daß dich zu diesen Frauen nur die Neugier zieht. Daß du dir hinter der glänzenden Maske ein phantastisches Wunder erhoffst. Von jeder neuen Erscheinung, die sich modisch gibt, bist du geblendet. Doch ist der Reiz der Neuheit vorbei, blickst du enttäuscht ins Nichts. Ein bißchen zu spät vergleichst du dann mich mit ihr.

Mann: Ich vergleiche nicht. Das wäre doch lächerlich: sie, eine Frau von Welt, und du, die brave Hausfrau.

Frau: Jede Frau kann beides.

Mann: Nein! Es gibt solche, die jeden entzücken und andre müssen sich bescheiden.

Frau: Du irrst, man muß nicht. Ich werde dir's beweisen.

Mann: (ungläubig, ironisch) Aber geh!

Frau: Jetzt reißt mir die Geduld.

Mann und Frau: Warte, ich werde dir zeigen, daß ich durch dich Entmutigte (ter), von dir Unterschätzte (ter), ans Haus Gefesselte (Geketteter), durch die Gewohnheit Entwertete (ter) auch anders zu leben verstehe. Dann wirst du seh'n, welche Erfolge ich habe. Dann wirst du seh'n, welche Opfer ich dir gebracht hab'. Und vorbei ist es dann mit dem (mit der) Entmutigten, Unterschätzten, Entwerteten, Geketteten, Gedemütigten, Mißhandelten, Erstickenden. Das ist vorbei!

Frau: (beginnt hier, vom Mann nicht beachtet, ihre Verwandlung) Nun werde ich mir auch die Haare färben und schön bunt mein Gesicht bemalen; und Kleider trage ich nur mehr vom ersten Schneider; und Verehrer nehme ich serienweise und Liebhaber - - genannt Kameraden.

Frau: Mit dem Ersten wird heute noch angefangen; um seinen Nachfolger bangt mir nicht sehr; doch zögert er zu lange, bekommt er auch noch Vorgänger. Man will doch schließlich auch sein eignes Leben leben. Und dir wird es leid tun. Du wirst zu mir kommen und meine Hand genau so inbrünstig küssen, wie du es der Dame heute Abend getan.

Mann: (sie noch immer nicht ansehend): Glaubst du wirklich, du kannst mich erschrecken, durch Zukunftsbilder, die fremd mir aus deinem Mund? Glaubst du wirklich, du wirst mir interessant, weil du Worte gegen mich führst, Worte, solche Worte? Was hilft es, wenn du damit mein Ohr blockierst? Ich fliehe mit meinen anderen Sinnen zu der, die sie alle besiegen kann.

Frau: (dreht das Licht auf; es wird strahlend hell; tritt, vollkommen verändert, in effektvollem Negligé vor den Mann)

Mann: (erblickt sie erst jetzt): Was ist das? Wie siehst du aus? Wie kann man sich so verändern? Ist dieses elegante Wesen meine Frau? Soll ich meinen Augen trauen?

Frau: Was ist das? Was höre ich? Wie kann man sich so verändern? Ist dieser entzückte Verehrer mein Gatte? Soll ich meinen Ohren trauen?

Mann: Hast du je etwas andres von mir gehört, war es ich nicht, der dich stets in Treue verehrt?

Frau: Leider habe ich dich da mißverstanden. Dacht', du findest, ich sei deiner Liebe nicht wert.

Mann: Wann hätte ich je so was gesagt?

Frau: Sollte mein Gedächtnis mich täuschen?

Mann: Braucht eine schöne Frau Gedächtnis?

Frau: Oho! Will mein Mann plötzlich den Verlebten spielen? Das paßt nicht zu dir, mein Lieber. Als braver Ehemann bist du mir sehr lieb. Damit gib dich zufrieden. Du machst dich nur lächerlich, wenn du anderes versuchst.

Mann: Du irrst, du hast mich noch nicht aber jetzt, von dir entflammt, von deiner Liebe angefeuert, von deinem Lächeln berauscht, vom Strahl deiner Augen geblendet, von deiner Gestalt bezaubert, von deinem Geist angeregt, werde ich dir zeigen, was ich bin und kann; und meine übergroße Liebe wird dir beweisen, daß ich der Einzige bin, der zu dir paßt, daß keiner sonst dich so heiß liebt, dich so bewundert, dich so anbetet, dich so vergöttert, mein liebes Weib.

Frau: Glaubst du wirklich, du kannst mich erwärmen durch den Tonfall schon, mit dem du Erprobtes vorträgst? Glaubst du wirklich, du wirst mir interessant, wenn du mit Phrasen mich überschwemmst: Phrasen, solchen Phrasen? Das läßt mich kalt, wenn's mein Gatte noch so heiß sagt: Ich höre nur auf die fremde Stimme, die lockt und ohne Gnade mir die Besinnung raubt.

Mann: Wie? Was? Rauben? Oho! Oho! Wer will dich mir rauben?

Frau: Der Sänger, der berühmte Tenor.

Mann: Was, dieser hirnlose Komödiant, der nur in Opernzitaten denkt und immer irgendwie vom Singen redet? (ihn nachahmend): »Oh, gnädige Frau, ich liebe - pardon -mehr die Tiefe - - die Tiefe Ihrer Augen.« -Ach, das meinst du ja alles nicht im Ernst. (wirft Mantel und Hut ab, geht auf sie zu): Komm, laß dich küssen, Liebling. Sag, daß du nur mir allein gehörst.

Frau: (absichtlich etwas affektiert): Nein, mein Herr, da irren Sie. Ständig gehöre ich niemand, komme aber manchmal gänzlich abhanden, denn ich tue, was die Laune mir gebietet und was mir Freude macht.

Mann: (unterbrechend): Das alles macht dich immer noch begehrenswerter; dann liebe ich dich noch heißer. Deine Freuden sind auch die meinen. Du kennst mich ...!

Frau: (gelangweilt): Wie? Ich soll Sie kennen? Wäre nicht sehr günstig für Sie. Bekanntes ist Uninteressantes. Ich suche das Neue.

Mann: Bin ich das nicht? Bin ich, durch dich verwandelt, dir nicht ein Neuer?

Frau: Ein wenig aufgefrischt - doch das verschwindet bald wieder, ein wenig fremd, vielleicht bloß entfremdet, kommen Sie mir vor. Und ziemlich langweilig. Ich brauche Neues; Neue; Abwechslung! Drum leg' ich jetzt einen Kalender mir an, dort schreibe auf ich, wer eben kommt dran; der zeigt mir auch, wer zu lang schon mein Freund, wen schon vergessen ich soll. Wie der Zufall sie bringt, nehm ich sie zwar an: Ob alt, aber reich, oder jung, aber arm, ob Sportheld und geizig, doch elegant, oder Philosoph und geistig, doch schlecht gekleidet. Einer nach dem andern, oder auch zwei; nur kein System! Was Laune gebietet, und die Zeit mir erlaubt. So leb ich schließlich doch mein eignes Leben. Und du, mein Lieber, kommst auch vielleicht nochmals dran: Bis ich dich vergessen habe; bis du so viele Nachfolger gehabt hast, daß du ausgelöscht bist; dann erst darfst du zu hoffen beginnen. Nur fürcht ich: den Ersten vergißt man am Schwersten.

Mann: Du wirst mich vergessen?

Frau: Ich müßte...

Mann: Mich nicht mehr lieben?

Frau: Wenn ich dich wieder lieben wollte...

Mann: Ich verstehe dich nicht.

Frau: Das sollte dir doch gefallen. Aber wirklich: Verstündest du mich, wüßtest du, daß ich jetzt tanzen werde. halt, vorher etwas zu trinken. Zum Einstimmen.

Mann: Hast du etwas zu Hause?

Frau: Du fragst? Statt schon zu laufen. (Mann ab; Frau nimmt Champagnergläser aus dem Schrank, stellt sie auf den Tisch, besinnt sich dann und stellt sie auf den Boden.)

Frau: Jetzt, guter Gott, schenk mir Phantasie. Er muß zusammenbrechen. Verliebt ist er schon und eifersüchtig; aber er wünscht noch gequält zu werden. Also noch etwas Hysterie und Phrasen. Davon hat man ja heute genug gelesen.

Mann: (kommt zurück, aus einer Flasche Bier einschenkend): Zum Glück hab' ich das gefunden.

Frau: Was, Bier? Ja, will ich denn schuhplatteln? (nimmt die Flasche und schleudert sie - vorsichtig, um nichts zu beschädigen - von sich, so daß sie zerbricht)

Mann: Ich bitte dich, du weckst das Kind. Frau: Ach was! Jetzt tanz ich mit dir. - - -Vielleicht zum letzten Mal.

Frau: Mach das Radio auf!

Mann: (will es tun, besinnt sich aber, unterläßt es): Zu spät; das kann man jetzt nicht mehr.

Frau: So werde ich dazu singen. (singt einige Takte eines populären Modetanzes und zwingt ihn, mit ihr zu tanzen.)

Kind (im Nachthemd, tritt ein, blickt erstaunt auf die Eltern): Mama, was machst du da? (hören auf zu tanzen)

Mann: Jetzt hast du es geweckt.

Frau (barsch): Daß man niemals Ruhe haben kann!

Kind: Mama ist bös auf den Papa?

Frau: Laß mich in Ruhe und geh schlafen.

Kind: Erst ein Bussi. (will die Mutter küssen; sie drängt es, ihr Kleid schützend, weg.)

Mann: Du willst das Kind nicht küssen

Frau: (outriert): Ich bin jetzt nicht gelaunt dazu.

Mann: (nimmt das Kind auf den Arm): Komm, schlaf noch ein bißchen.

Kind: Mama ist schlimm.

Frau: Nimm es doch endlich hinaus. Gib ihm sein Frühstück, damit es still ist. (Mann führt das Kind hinaus. Wie er aus dem Zimmer ist, steht sie sofort auf, nimmt Hut und Mantel des Mannes vom Boden auf, räumt die Flasche und die Gläser weg.)

Mann: (in der Türe): Ach, ich glaube die Milch ist angebrannt. Willst du nicht nachsehn?

Frau: Bist du verrückt, mein Lieber? Mich interessiert das nicht. Mach, daß du endlich hereinkommst.

Mann: Gleich! Gleich! (ab)

Frau: (frohlockend): Ich werde dir zeigen. Ich werde dich lehren.

Mann: (kommt zurück; hat sich die Finger verbrannt; Geste: beutelt die Hand, leckt die Finger.) (Es klingelt.)

Mann: Es klingelt.

Frau: Es klingelt. Geh öffnen!

Mann: (widerstrebend ab.)

Frau: (nimmt einen Schal oder ein anderes Kleid.)

Mann: (wieder zurück, sichtlich irritiert): Liebste, der Gasmann ist draußen. (spricht) Kommt der jetzt mitten in der Nacht?

Frau: (überhört absichtlich): Sieh, wie dieses Kleid mir paßt. Wie soll ich den Schal dazu tragen

Mann: Liebste, der Gasmann...

Frau: Gefällt es dir so besser, oder wenn ich

Mann: Liebling, so hör mir doch zu, der Gasmann

Frau: Ja, was ist denn das? (mit gemachtem Pathos): Ich zeige mich dir in Kleidern, in denen man neben Königinnen bestehen könnte; und ich deute dir an, wie ich ... ich überlasse das nicht bloß deiner Phantasie ... ohne sie ... und du: So verliebt bist du, daß du dastehst wie ein Kretin und fortwährend lallst: der Gasmann, der Gasmann. Zum Kuckuck, was ist denn mit ihm?

Mann: Er kommt mit der Rechnung. Ich gab dir neulich schon das Geld.

Frau: Ja, ich weiß. Aber, mein Lieber, du glaubst doch nicht, daß ich das Geld noch habe. Komm, ich werde dir zeigen, was für prachtvolle Dinge ich mir dafür gekauft habe. Nur um dir zu gefallen. Dir allein. Hörst du, was ich sage?

Mann: (hilflos): Aber, was soll ich ihm jetzt sagen?

Frau: Ach so: der Gasmann. Was kümmert das mich?

Mann: Wenn er es aber sperrt, was dann? Frau: Dann ziehn wir ins Hotel. Mann: Das kostet zu viel.

Frau: Wir werden eben auf Pump leben, wie das alle anständigen Leute heute tun. Mich macht die Wirtschaft ohnedies schon krank. Also schnell, hilf mir packen! (springt auf, nimmt einen Koffer und beginnt zu packen. Mann hilft widerwillig.)

Mann: Frau:(Das Telephon läutet): Was ist das? Was ist das? (Mann geht hin; Frau reißt ihm das Hörrohr aus der Hand. Mann ab.)

Sänger: Halloh!

Frau: Halloh!

Sänger: Sie, gnädige Frau, am Telephon?

Mann: (kommt zurück): So, jetzt ist er fortgegangen.

Frau: Der berühmte Tenor.

Sänger: Ah, Sie haben mich an meiner Stimme erkannt?

Frau: (schwärmt absichtlich): Ihre Stimme, wer die einmal gehört hat, vergißt sie nicht wieder. Aber so spät rufen Sie noch an?

Sänger: Ich dachte zu früh. (lacht blöd) Hoffentlich nicht doch zu spät. Nämlich wegen unserer Wette: Ihre Freundin und ich gingen bei Ihnen vorüber; und da sah'n wir durch die Jalousien Licht,

Mann: (wirft geräuschvoll einen Gegenstand in den Koffer.)

Frau: Ach so. (winkt dem Mann, nicht Lärm zu machen) Pst!

Sänger: Ich behauptete, daß der Schein von Ihren strahlenden...sind Sie noch da?...

Frau: Ja.

Sänger: ...von Ihren strahlenden Augen herrühre. Siehe Rheingold. Aber Ihre Freundin, die sehr prosaisch ist

Frau: ...ja...

Sänger: Behauptet, es sei gewöhnliches, elektrisches Licht.

Frau: ...ja...

Sänger: Nun entscheiden Sie, gnädige Frau, wer recht hat. Worum geht die Wette? Ihre Freundin soll, wenn sie verliert, wenn also ich gewinne, Sie und natürlich auch Ihren Mann bereden, jetzt gleich zu uns in die Bar zu kommen.

Frau: Und wenn Sie verlieren? Sänger: ... ist's meine Pflicht, daß ich den Herrn Gemahl und selbstverständlich auch seine Gattin noch heute nacht in die Bar verlocke.

Frau: Wir gewinnen also alle auf jeden Fall. Dann muß ich ein salomonisches Urteil fällen: meine aufrichtige Freundin ladet meinen Mann und Sie laden mich in die Bar ein.

Sänger: Ich bin entzückt.

Frau: Von der unparteiischen Zeugin?

Sänger: Waren Sie gar nicht voreingenommen?

Frau: Meinen Sie: gegen meine Freundin?

Sänger: Ich habe anderes zu hoffen gewagt.

Mann: Der Mensch ist unverschämt.

Frau: (bedeckt die Hörmuschel. Zänkisch):Bitte, störe doch nicht. (vorwurfsvoll): Er kann ja doch nicht wissen, daß du zuhörst (wieder ins Telefon): Haben Sie denn zu hoffen aufgehört? Jetzt, wo ich hinkomme . ..? Was doch eine Erfüllung ist.

Sänger: Seligste Erfüllung! Hehrster Lohn ...! Mann: Er singt wieder einmal.

Frau: ...wir gehen schon...

Mann: Lächerlich!

Frau: Also, in zehn Minuten. Auf Wiedersehn! Mann: Genug davon!

Sänger: Auf Wiedersehn!

Mann: Kannst warten.

Frau: Komm rasch. Mach dich fertig.

Mann: Jetzt, wo wir packen?

Frau: Packen? Was denn? Warum?

Mann: Du wolltest doch ins Hotel übersiedeln.

Frau: Ach ja, schon gut, aber jetzt gehen wir in die Bar. So - bin ich schön?

Mann: Du bist wunderschön. aber, Liebling, bitte geh' nicht so aus.

Frau: Warum?

Mann: Dieses Kleid ...! Frau: Paßt es mir nicht gut?

Mann: Doch, ich habe dich nie so schön geseh'n. Aber ich will nicht, daß dich dieser Mensch so sieht

Frau: Wer? Der Sänger?

Mann: Ja, ich bin ... eifersüchtig.

Frau: Eifersucht. Lächerlich, veraltete Sentimentalität. Wir gehen jeder seinen eignen Weg: mir gefällt der berühmte Tenor, dir meine Freundin, das „entzückend lebendige Weib".

Mann:(wütend): Zum Teufel mit dieser Person! Sie ist schuld an unserm Unglück!

Frau: An unserm Unglück?

Mann: An meinem Unglück.

Frau:(freudig): Bist du unglücklich? (Reißt, ohne daß der Mann es sieht, das Kleid vom Leib und zieht ein einfaches Hauskleid an. Auch die Frisur und alles Übrige wie am Anfang.)

Mann: Jetzt seh' ich, daß ich unglücklich bin. Denn mein Glück warst du, so wie du früher warst. Mein Glück war meine liebe kleine Frau, die ich gering schätzte, weil sie mir treu war, die ich verhöhnte, weil sie ihr Haus liebte. die ich verkleinerte, weil ich ihr alles war. Ich will meine Frau wieder. Wo bist du? Wo bist Du? Habe ich dich verloren?

Frau:(Sie steht vor ihm; jetzt sieht er sie): Soll ich wieder ich sein?

Mann: Ja, nur das wünsch' ich: dich, wie du früher warst. Ich hielt dich für die Frau von gestern; Da gabst du die Frau von heute; die stellte ich höher als dich. Nun weiß ich: Du bist die Frau für's Leben.

Frau: Jawohl, dein Weib für's ganze Leben, das nicht, wenn ein Modequartal Verruchtheit diktiert, bereit ist, Mann und Kind aufzugeben.

Mann: (besorgt): ... doch du hast nur gespielt?

Frau: Ein gefährliches Spiel.

Mann: Ich fürchtete, es zu verlieren.

Frau: Schlimmer: ich fürchtete, es zu gewinnen, denn die Rolle, die ich spielte, riß mich mit sich. Mann: (erschrickt): So gefiel dir der Sänger wirklich?

Frau:(nicht boshaft): Er erinnerte mich an dich .

Mann: (mit Humor): Du kränkst mich, ich sehe doch anders aus. Frau: Nicht, wenn du schöne Frauen mit feurigen Blicken verschlingst.

Mann: Das war nicht mein Ernst.

Frau: Etwas Ernst ist immer dabei.

Mann:(mißtrauisch):Was soll das heißen? Auch das mit dem Sänger?

Frau:(schiebt die Betten hinein): Es ist Tag und wir haben nicht geschlafen. Ich werde Kaffee bereiten. (ab)

Mann: Sie antwortet nicht. Bestreitet nicht einmal. Sollte doch dieser Sänger...?

Frau:(kommt mit dem Kaffee zurück, hält einen Zettel, die Gasrechnung, in der Hand.)

Mann:(mißtrauisch): Was hast du da? - - - Die bezahlte Gasrechnung? Bitte, erkläre mir das. Und woher die Kleider?

Frau:(zu dem Kind, das eben eingetreten ist): Baby, lies, was auf dieser Schachtel steht! (Währenddessen schenkt die Frau am Tisch den Kaffee ein; setzt sich, später auch das Kind, dann der Mann.)

Kind: An Fräulein Lisl... Mama...? Tante Lisl...?

Mann:(beschämt): Meine Schwester.

Frau: Deine Schwester. Sie tanzt morgen hier. Und ich wünsche ihr ebensoviel Erfolg, in diesen Kleidern, als ich durch sie hatte.

Mann: (setzt sich neben sie, ergreift ihre Hand): Bist du böse? ... Verzeih mir noch einmal.

Frau: Soll ich wieder ich sein? Noch einmal?

Mann: Wieder du. Immer nur du. Nie eine andre.

Frau: Und willst du der bleiben, für den es sich lohnt, die zu bleiben, die ich war.

Mann: Du wirst es sehen.

Frau: Ich hoffe.

Mann: Was soll ich versprechen?

Frau: Wenig. Halte mehr.

Mann: Stelle mich auf die Probe. Nichts ist mir so gleichgültig als andere Frauen.

Frau: Auch wenn sie „entzückend lebendig" sind? (Sänger und Freundin werden, von der Straße kommend, auf der Veranda sichtbar.)

Freundin und Sänger (leise): Oho, oho, was seh' ich da: Da sitzen doch beide. Stören wir nicht ein Eheidyll, eine Liebesszene! (gehen zum Tisch, begrüßen, der Sänger die Frau, die Freundin den Mann; die Frau schickt das Kind hinaus.)

Frau und Mann: Zur Nachahmung empfohlen.

Freundin (zum Mann): Sänger (zur Frau): Mit mir? Mit mir?

Mann(zur Freundin): Nein, ich meinte mit dem Herrn Sänger.

Frau: (zum Sänger): Nein, ich einte mit meiner Freundin.

Freundin (zum Mann), Sänger (zur Frau): Sie scherzen? Sind Sie böse? Sie waren es doch, der mich vergebens warten ließ.

Freundin und Sänger: (zueinander): Wir haben uns nicht gelangweilt. Schließlich sind irgendzwei immerhin ein Paar.

Mann und Frau (zueinander):Ach Gott, Was nun sagen? Das hatten wir vergessen! (zu den Andern): Wir wußten Sie in bester Gesellschaft.

Mann(zur Freundin): Der berühmte Tenor hat Sie sicher unterhalten.

Frau (zum Sänger): Meine Freundin ist doch so geistreich. Freundin und Sänger: Wir suchten vergessen in Wein, Tanz und Musik.

Freundin (zum Mann): (leise) Doch muß ich gestehen: all das war mir nur ein schwacher Ersatz.

Sänger (zur Frau): (leise) Doch muß ich gestehn: ich vergaß Ihrer keinen Augenblick.

Mann und Frau: Wie schade! Wollen Sie nicht Kaffee mit uns trinken?

Freundin: Kaffee? Wollen Sie meinen Groll damit wiederbeleben, den ein guter Kognac eingeschläfert hat?

Sänger: Kaffee? Oh, süße Hebe. Von Ihnen kredenzt...oder wie ich als Siegmund singe: "Schmecktest Du mir ihn zu"...schmeckt ein Milchkaffee sicher wie Gin.

Frau: So witzig und doch poetisch Mann: Wie romantisch Sie das sagen.

Frau: doch der gute Kaffee wird kalt.

Freundin und Sänger: Wenn die Liebe uns nur erwärmt schläfert Kognac den Groll ein/Schmeckt Gin wie Milchkaffee.

Frau und Mann: So witzig und doch poetisch. Wie romantisch Sie das sagen. Doch der gute Kaffee wird kalt.

Freundin: Wie schade, liebster Freund, daß nicht Sie ...

Sänger: Wie schade, gnädige Frau, daß nicht Sie ...

Freundin und Sänger: mit mir .. . wir beide ... allein ... zusammen .. . wie herrlich

Frau (zum Sänger): Mann (zur Freundin): Sehr liebenswürdig, sehr schmeichelhaft. Leider jedoch bin ich unabsehbar lang nicht frei. Aber vielleicht meine geistreiche Freundin/der berühmte Tenor?

Freundin:(zum Mann), Sänger (zur Frau) Ich dachte, Sie sind ein Mann/eine Frau von heute. Nahm an, Ihre Ehe sei modern. Setzte voraus, Sie legten einander keine Hindernisse in den Weg.Kann Ihnen denn diese reizlose Frau/dieser langweilige Mensch genügen? Sie, der/die geschaffen ist, viele Frauen/viele Männer glücklich zu machen, Sie wollten sich mit einer/einem begnügen? Was doch heute kein Mensch mehr täte. Lösen Sie sich aus dieser Verbindung, oder werden Sie in ihr frei: Haben Sie doch endlich den Mut, Ihr eigenes Leben zu leben.

Frau und Mann (zusammen): Wenn wir beide das uns're leben, lebt keiner ein andres, als seins.

Freundin und Sänger (zusammen, sie auslachend): Ach, wie stimmungsvoll gesagt. Wie rätselhaft, wie mystisch.

Freundin und Sänger: Gehen wir doch, lieber Meister! liebe Freundin! Da ist nichts zu machen, da ist nichts zu holen

Frau (zum Sänger) Mann: (zur Freundin): Sehn Sie wir denn nicht, lieber Meister! liebe Freundin! hier ist nichts zu machen, hier ist nichts zu holen: Wir Sind veraltet, leben in vergangenen Wünschen. (zu Frau und Mann): Wir kennen den Preis solcher Dinge; Wir machen einander nichts vor, bekommen, was wir erwarten. Wir leben unser eigenes Leben! Ihr aber seid verblaßte Theaterfiguren! (rasch ab!) (zueinander, sie glossierend) So geht euch billig vor recht. Doch wünscht ihr, man mach' es euch nach.

Frau (zum Sänger): vielleicht meine geistreiche Freundin?

Mann: (zur Freundin): vielleicht den berühmten Tenor?

Frau: Das kommt mir bekannt vor.

Mann: das ist ja von gestern. (Mann, Frau und Kind setzen sich an den Frühstückstisch und frühstücken während des Folgenden.)

Frau: Wir vielleicht schon verblaßte, sie heute noch in beliebten Farben strahlende Theaterfiguren. Aber noch ein Unterschied: Regie führt bei Ihnen die Mode; bei uns jedoch (sieht sich um) sind sie schon weg...? dann wag' ich's zu sagen (leichthin mit Humor) die Liebe...

Mann: Und dabei finde ich sie heute schon nicht einmal mehr ganz modern...

Frau: Das ändert sich eben von heute auf morgen...

Kind: Mama, was sind das: moderne Menschen...?


beteiligte Personen: Max Blonda (Gertrud Schoenberg) (1898-1967) - Textautor(in)

Erstdruck: Selbstverlag, 1929
Gesamtausgabe: Partitur: Reihe A, Bd. 7; Klavierauszug: Reihe A, Bd. 7, Teil 2; Reihe B, Bd. 7, Teil 2; Text u. Skizzen: Reihe B, Bd. 7, Teil 1

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