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Erwartung. Monodram in einem Akt

Opus: op. 17
Entstehungszeitraum: 27.08.1909-12.09.1909
Uraufführung: 6. Juni 1924, Prag, Deutsches Landestheater (Marie Gutheil-Schoder, Eine Frau; Alexander Zemlinsky, Dirigent).
Quellen:

Skizzen innerhalb der handschriftlichen Textvorlage Marie Pappenheims

Skizze [Ab]

Skizze [Ac]

Erste Niederschrift

Korrekturabzug (Probeseite) von S, 4 (T. 5-12) des Partiturdrucks

1. Korrekturabzug der Notenseiten sowie Seite mit spieltechnischen Anweisungen und der Besetzung des Orchesters des Erstdrucks (F), 1. Exemplar. Vorlage für die zweite Korrektur

2. Korrekturabzug der Notenseiten sowie der Seite mit spieltechnischen Anweisungen und der Besetzung der Orchesters des Erstdrucks (F), 1. Exemplar. Vorlage für die dritte Korrektur

Fragment einer I. Geigen-Stimme, autograph

Streicherstimmen, autograph

Niederschrift des Klavierauszugs, autograph

Reinschrift des Klavierauszugs, autograph

Handschriftliche Textvorlage Marie Pappenheims mit Eintragungen Schönbergs
Weitere Quellen:

Partiturreinschrift, autograph

Partiturabschrift

1. Korrekturabzug der Notenseiten des Erstdrucks (F), 2. Exemplar

2. Korrekturabzug der Notenseiten des Erstdrucks (F), 2. Exemplar

3. Korrekturabzug der Notenseiten des Erstdrucks (F)

4. Korrekturabzug der Notenseiten des Erstdrucks (F)

Erstdruck der Partitur. Universal-Edition, U.E. 5361

Schönbergs Handexemplar der 1. Auflage des Erstdrucks (F)

Stimmenmaterial für die 1910 in Mannheim geplante Uraufführung

Stimmenmaterial. Universal-Edition, U.E. 5363

Reinschrift eines weiteren Klavierauszugs

Verlagsniederschrift eines weiteren Klavierauszugs

Fragmentarische Reinschrift des Klavierauszugs, vermutlich von Heinrich Schönberg. Abschrift von L oder M*

Klavierauszug Eduard Steuermanns, Autograph des Bearbeiters

Klavierauszug von Eduard Steuermann. Erstdruck. Universal-Edition, U.E. 5362

Schönbergs Handexemplar der 1. Auflage des Erstdrucks (Q)

Schönbergs Handexemplar der 2. Auflage des Erstdrucks (Q)

Widmungsexemplar für Josef Polnauer des Erstdrucks (Q)

Textbuch

Typoskript des Textbuchs

Unvollständiger Durchschlag des Typoskript des Textbuchs mit Eintragungen Pappenheims

Erstdruck des Textbuchs. Universal-Edition, U.E. 5360

Textbuchdruck, 2. und 3. Auflage. Universal-Edition, U.E. 5360

Beschreibung:

Schönberg komponierte das Monodram Erwartung im Spätsommer 1909 innerhalb nur weniger Wochen. Unmittelbar vorausgegangen waren im Frühjahr der Abschluß der George-Lieder op. 15 und im August die Beendigung der Drei Klavierstücke op. 11 sowie der Reinschrift der Fünf Orchesterstücke op. 16. Der genaue Zeit­raum ist insbesondere durch die Datierungen in den Quellen dokumentiert, ferner durch eine Reihe von Briefen. Obwohl somit wichtige Stationen der Werkgenese rekonstruierbar sind, lassen sich einige Punkte nicht mehr aufklären. Dies betrifft vor allem die Entstehung und Redaktion des Textes, ferner den genauen Zeitpunkt wie Inhalt von Schönbergs Retuschen in der Partitur bis zur Drucklegung.
Datierungen gibt es in den Quellen nur wenige:
Erste Niederschrift (B), S. 2r: 27/8. 1909 (Anfangsdatum)
Erste Niederschrift (B), S. 7r: 12/9. 1909 (Schlußdatum)
autographe Partiturreinschrift (C), S. 36r: 4. Oktober 1909 (Schlußdatum)
Niederschrift des Klavierauszugs (K), S. 44: 22/10. 1909 (Schlußdatum)
handschriftliche Textvorlage (TA), S. 14r: Samst. d. 11. abzuschicken! An Arnold Schönberg Steinakirchen am Forst N.-Ost.
An diesen Eintragungen läßt sich zunächst ablesen, daß Schönberg die Erste Niederschrift des Werkes zwischen dem 27. Au­gust und dem 12. September 1909 geschrieben und die Partitur am 4. Oktober 1909 (vorläufig) abgeschlossen hat. Diese Daten werden auch durch zwei Briefe bestätigt: Ende August berichtete Schönberg dem Pianisten und Komponisten Ferruccio Busoni, er habe ein neues Werk angefangen; etwas fürs Theater und am 6. Oktober teilte er ihm die Be­endigung der Instrumentation des Monodrams mit. Über die allerersten Anfänge des Werks gibt es hingegen widersprüchliche Angaben. Wer die Idee zu dem Libretto hatte, in welchem Zustand dieses Schönberg übergeben wurde und wer an der Redaktion des Textes beteiligt war, all dies läßt sich mittels der überlieferten Dokumente nur teilweise klären.
Den Sommer des Jahres 1909 verbrachte der Komponist in Steinakirchen am Forst, und zwar wahrscheinlich seit Ende Juni. (Am 27. 6. 1909 muß Schönberg noch in Wien gewesen sein, denn ein Brief seiner bereits in Steinakirchen weilenden Frau Mathilde vom selben Tag ist noch an die Wiener Adresse gerichtet. Daß Schönberg schon wenige Tage später an seinem Urlaubsort eingetroffen sein muß, wird durch die Da­tierung am Ende der Reinschrift des dritten Stücks der Fünf Orchesterstücke op. 16 belegt, die Steinakirchen 1/7.1909 lautet.) Hier traf er auch Marie Pappenheim, der Schönberg vermutlich im Jahr zuvor erstmals begegnet war. Pappenheim, 1882 in Preßburg geboren, hatte seit 1903 in Wien Medizin studiert und war Mitte Juni 1909, also unmittelbar vor ihrer Reise nach Steinakirchen, zum Doktor der Allgemeinen Heilkunde promoviert worden. 1906 waren von ihr Gedichte in der Wie­ner Zeitschrift Die Fackel erschienen, und auch in anderen Periodika hat sie seit dieser Zeit Gedichte und Aufsätze veröf­fentlicht. Wie Pappenheim später berichtete, hatte Schönberg sie durch Karl Kraus und die Menschen um ihn kennengelernt. Pappenheim hielt sich – vermutlich im Juli – zunächst nur kurz in Steinakirchen auf, ehe sie an den Traunsee weiterreiste. Während dieser Begegnung erhielt sie von Schönberg den Auftrag zu einem Opern­libretto. Dabei ist zunächst unklar, ob und gegebenenfalls in welcher Weise Vorgaben zu Inhalt und Form gemacht wurden. In dem schon erwähnten Brief an Busoni von Ende August 1909 schrieb Schönberg, das Textbuch habe der Autor (eine Dame) arrf meine Anregung hin so gefunden und gefaßt, wie ich es meine. Diese Version findet sich auch in Egon Wellesz' Schönberg-Biographie aus dem Jahre 1921 (Gleich darauf begann er [d. i. Schönberg] die Komposition des Monodrams „Erwar­tung", dessen Text Marie Pappenheim nach einer Idee, die er ihr gegeben hatte, schrieb) sowie in einem Aufsatz von Paul Bekker, in dem es heißt: Marie Pappenheirn formt die Worte in feinfühliger Anpassung an die vom Komponisten gegebene Grund­idee [Paul Bekker, Schönberg: „Erwartung". Studie, in: Musikblätter des Anbruch 6 (1924), S.275-282, hier S. 276]. In zwei aus späterer Zeit stammenden Berichten erscheint die Entstehung des Librettos jedoch in einem etwas ande­ren Licht: In einem am 25. l0. 1949 in der Wiener Zeitung Der Abend veröffentlichten Interview erinnerte sich Pappenheim, Schönberg habe nach seiner Aufforderung Schreiben Sie mir eine Oper und ihrer Entgegnung, daß sie höchstens ein lyrisches Monodram schreiben könne, abschließend gesagt: Schreiben Sie, was Sie wollen. Und in einem Brief an den Musikwissenschaftler Helmut Kirchmeyer vom Juni 1963 schrieb sie ausdrücklich mit Bezug auf Paul Bekkers Auf­satz: P.B. muss wohl etwas falsch verstanden haben. Ich bekam weder einen Hinweis noch eine Angabe was ich schreiben soll (hätte ihn auch nicht angenommen). Der Widerspruch der Aussagen ist offenkundig und läßt sich auch nicht auflösen. Allerdings kann man einige Überlegungen daran knüpfen, um eine etwas präzisere Vorstellung zu gewinnen. Zunächst darf wohl Bekkers Schilderung vernachlässigt werden, da sie vermutlich nicht aus erster Hand, sondern aus dem Buch von Wel­lesz stammt. Schönberg ist ferner der einzige, der eine zeitnahe Mitteilung über den Sachverhalt macht. Wichtig sind hier die Worte so gefunden und gefaßt, durch die angedeutet wird, daß Schönberg eine Anregung sowohl zum Inhalt als auch zur Form gegeben hatte. Bei Wellesz ist daraus die etwas konkretere Idee geworden, gleichzeitig fehlt aber eine Information, worin diese bestand. Pappenheim wiederum ist die einzige, die über die Umstände des Zustandekommens berichtet. Über die Niederschrift des Textes gibt es nur einen Bericht Pappenheims, ebenfalls aus später Zeit. Demnach schrieb sie im Gras liegend mit Bleistift auf großen Bogen Papier, hatte keine Kopie, las das Geschriebene kaum durch. Diese Darstellung ist jedoch nicht mit den überlieferten Quellen in Übereinstimmung zu bringen, denn von Pappenheims Hand hat sich nur eine Niederschrift erhalten, die sie mit schwarzer Tinte in sehr sauberer und deutlicher Schrift in ein kleinfor­matiges Schreibheft geschrieben hat (Quelle TA). Entweder ist die von Pappenheim erwähnte Quelle heute verschollen oder aber ihr Bericht falsch, möglicherweise weil nach so langer Zeit die Erinnerung trog. Hier und in geringerem Maße auch im Zeitungsartikel von 1949 – sagt Pappenheim, daß der Text – ähnlich wie dann die Komposition – sehr rasch und gewissermaßen in einem einzigen Akt der Spontaneität entstanden sei.
Anders als die Niederschrift, über die nur die späten Mitteilungen Pappenheims existieren, ist die Redaktion des Librettos gut dokumentiert: zunächst durch die zahlreichen Korrekturen in TA, ferner durch zwei Postkarten Pappenheims von Anfang September 1909, schließlich erneut durch die späteren Berichte der Librettistin.
Zunächst ist nicht bekannt, wann Pappenheim vom Traunsee nach Steinakirchen reiste und wie lange sie dort blieb, um direkt mit Schönberg die vom Komponisten für notwendig erachteten Umarbeitungen zu besprechen. Während Pappenheim dann spätestens am 5. September wieder in Wien war, blieb Schönberg möglicherweise noch bis Ende Sep­tember an seinem Urlaubsort. Da Schönberg am 27. August mit der Ersten Niederschrift des Werks begann, blieb also möglicherweise noch etwa eine Woche Zeit, um sich vor Ort gemeinsam mit der Redaktion des Textbuchs zu beschäfti­gen, ehe dann ein schriftlicher Austausch erforderlich war, in dessen Verlauf auch die Quelle TA verschickt wurde. TA be­steht zum einen aus einer reinschriftlichen Grundschicht, die vollständig von Pappenheims Hand stammt. Man darf wohl vermuten, daß dies die Fassung gewesen ist, die Pappenheim nach ihrer Rückkehr nach Steinakirchen Schönberg zur Vertonung übergeben hat. Zum andern aber weist diese Quelle zahlreiche Streichungen, Ein­fügungen sowie Änderungen auf, die (soweit identifizierbar) sowohl Pappenheim als auch Schönberg vorgenommen haben. Daß Pappenheim bis zuletzt die Kontrolle über den Text behielt, geht auch aus den beiden oben erwähnten Postkarten hervor. Erhalten hat sich zunächst eine Postkarte Pappenheims an Schönberg vom 5. September 1909. Pappenheim schreibt, sie wolle heute machen, was wir besprochen haben, kündigt an, das morgen früh zu schicken, und bit­tet ferner um Mitteilung, was geändert werden soll und wie weit die Komposition gediehen sei. An den wenig konkreten Mit­teilungen läßt sich immerhin ablesen, daß Pappenheim auch nach ihrer Abreise an der Textredaktion beteiligt blieb. Schönberg muß auf Pappenheims Postkarte und die kurz darauf erfolgte Sendung umgehend geantwortet haben (dieser Brief ist nicht überliefert) und sowohl letzte Änderungswünsche als auch die vorläufige Fertigstellung der Ersten Niederschrift bekanntgegeben haben.
Auf der Grundlage von TA wurden spätestens Ende 1909 eine Abschrift (TB*) sowie am 13. September 1910 ein Typoskript (TC*) mit mehreren Durchschlägen hergestellt. Mit der Beendigung der Ersten Niederschrift (B) einschließlich der nachträglich eingefügten Stellen war im wesentlichen auch die Textkonstitution abgeschlossen. Da Schönberg in dieser Quelle jedoch keine Regieanweisungen eingetragen und auch den Gesangstext nur mit großer Flüchtigkeit notiert hatte, enthält dann erst die autographe Partiturreinschrift den vollständigen Text, wenngleich in einer von der Vorlage TA leicht abweichenden Form. Während der Drucklegung der Par­titur kam es Anfang des Jahres 1915 neben kleineren Retuschen noch zu einer späten Textrevision.

Der Kompositionsprozeß ging bis zur Vollendung der autographen Partiturreinschrift C offensichtlich ohne Schwierigkei­ten voran. Am Beginn dürften, ähnlich wie dann bei Pierrot lunaire, einige wenige kurze Einfälle gestanden haben, die Schön­berg bei der Lektüre des Librettos TA hatte und dann vermutlich umgehend in diese Quelle eintrug. Und für die Takte 411 ff. griff Schönberg angesichts der Textübereinstimmung (Tausend Menschen zieh [resp. ziehen] vorüber) auf eine eigene Vertonung (Am Wegrand op. 6 Nr. 6) zurück. Die Erste Niederschrift B ist, wie die ursprüngliche Taktzählung belegt, zunächst ohne die Takte auf den eingeklebten Zetteln beendet worden, die zweite Hälfte von T. 144 und die erste Hälfte von T. 145 sind sogar erst eingefügt worden, als auch die Partiturreinschrift dieser Stelle bereits ge­schrieben war. Die Erste Niederschrift B enthält neben den Verbesserungen mit Bleistift, die zum überwiegenden Teil wohl Spontankorrekturen darstellen, vor allem eine Reihe von Änderungen mit schwarzer Tinte. Da diese Korrekturen meist als ante-corr.-Fassung in C eingegangen sind, müssen sie entweder vor dem Ausschreiben der Par­titur in einem gesonderten Arbeitsgang durchgeführt worden sein oder mit der Anfertigung der Partitur zusammenfallen (auch C ist mit schwarzer Tinte geschrieben). Die Änderungen betreffen häufig den Rhythmus (Länge der Schlußnoten, außerdem sind Punktierungen jetzt verschärft), ferner Spieltechniken und Instrumentenzuweisungen, nur selten hingegen auch Tonhöhen. Ob Schönberg, wie dann später bei der Glücklichen Hand, parallel an Erster Niederschrift und Partiturreinschrift gearbeitet hat oder die Arbeit an letzterer erst nach der (vorläufigen) Beendigung von B aufgenommen hat, ist nicht bekannt. Die Schlußdaten beider Quellen – 12.9. bzw. 4.10. – lassen grundsätzlich beide Möglichkeit zu. Bei der Ausarbeitung der Par­titur hat Schönberg noch eine ganze Reihe von Tonhöhen geändert und den Sekundärtext teils revidiert, teils präzisiert, wobei er diese neuen Lesarten in vielen Fällen nicht nach B rückübertrug (abgesehen von den erwähnten Tintenkorrekturen in B). Die Niederschrift der Partitur C stellte mithin gleichzeitig eine erste Revisionsphase dar. Inwieweit Schönberg dann nach Ab­schluß der Partiturreinschrift Anfang Oktober 1909 in den folgenden Jahren an dem Werk noch Veränderungen vorge­nommen hat, ist unbekannt. Spätestens im Frühjahr 1914 muß jedoch eine weitere Revisionsphase im Zuge der Vorberei­tung der Drucklegung stattgefunden haben. Dieser Zeitpunkt ergibt sich aus mehreren Briefen, insbesondere aus zwei Mitteilungen gegenüber seinem Verleger Hertzka vom März 1914. Aufgrund der schlechten Erfahrungen, die die Univer­sal-Edition vor allem mit der Kammersymphonie op. 9 und den hier von Schönberg schon bald für notwendig erachteten Retuschen gemacht hatte, die dann aufwendige Änderungen in den Stimmen sowie umfangreiche Plattenkorrekturen für die verbesserte Ausgabe des Partiturdrucks notwendig machten, hatte Hertzka darauf gedrängt, daß nur zuvor durchgesehene Manuskripte eingereicht würden. Darauf entgegnete Schönberg zunächst, daß er die Partitur vorher noch genau revidieren werde, und Ende März, daß er damit beschäftigt sei, das Monodram druckfertig zu machen. Einen weiteren zeitlichen Anhaltspunkt für die Retuschen in C gibt das bereits 1910 angefertigte und heute verschollene Mannheimer Orchestermaterial (G*). Als nämlich im Herbst 1913 eine Aufführung in Mannheim in greifbarer Nähe schien, teilte Schönberg am 25. Oktober 1913 Hertzka mit, daß eine Materiallieferung dorthin entfalle, denn die besitzen be­reits seit cirka 3 Jahren ein Orchestermaterial, das sie sich selbst, auf eigene Kosten haben anfertigen lassen. Da als Vorlage für diese Orchesterstimmen vermutlich Quelle C gedient hatte, müssen beide Quellen zu diesem Zeitpunkt also noch übereingestimmt haben. Umfang und Inhalt der im Frühjahr 1914 vorgenommenen Retuschen lassen sich allerdings nicht genau rekonstruieren. Direkte Vergleichsquellen fehlen, und der autographe Klavierauszug wie die Erste Niederschrift erlauben nur teilweise Rückschlüsse auf die ante-corr.-Fassung der Partitur. Wie bei der Quellenbeschreibung von C aus­führlicher dargelegt, spricht jedoch viel dafür, daß Schönberg erst zu diesem Zeitpunkt die Haupt- und Ne­benstimmenzeichen eintrug, ferner möglicherweise auch etliche Tempoangaben (einschließlich Metronomangaben) getilgt, eingefügt oder auch geändert hat. In C gibt es außerdem einige Textkorrekturen sowie Retuschen im Notentext mit von der Grundschicht abweichender schwarzer Tinte. Da all diese Änderungen noch vor der Drucklegung erfolgt sein müssen. könnten auch sie aus dieser Phase der Umarbeitung stammen.
Während der Drucklegung waren dann allerdings doch weitere Korrekturen in der Partitur erforderlich, auch wenn Schön­berg jetzt keine substantiellen Änderungen mehr vornahm. Hauptsächlich wurden – teils von Schönberg, teils von Erwin Stein – etwa fehlende Dynamikangaben und Phrasierungszeichen in Analogie zu anderen Instrumenten ergänzt oder Feh­ler korrigiert. Nur vereinzelt kam es zu Retuschen, die dann alle Parameter des Notentexts, vorwiegend jedoch die Dyna­mik und einzelne Spielanweisungen betrafen. Dabei handelt es sich weniger um Änderungen als vielmehr um Präzisierun­gen. Ein letztes Mal revidierte Schönberg den Notentext dann im Rahmen der Vorbereitungen der von ihm dirigierten Londoner Aufführung vom Januar 1931. Möglicherweise stammen die meisten Eintragungen, die Schönberg in das Handexemplar Fa eintrug, aus den Proben. Inwieweit diese Änderungen nur die spezifische Situation die­ser einen Aufführung widerspiegeln, läßt sich nicht für jeden Fall sicher angeben. Hauptsächlich ist erneut die Dynamik an einigen Stellen modifiziert worden, schwerwiegende Eingriffe (etwa Tonhöhen- oder Instrumentationsänderungen) gibt es hingegen nicht.
Schon im Herbst 1909 hatte Schönberg auch einen Klavierauszug des Werks angefertigt, der dann bei den Bemühungen um eine Aufführung in der Regel die erste Quelle (zusammen mit einem Textbuch) gewesen ist, die Dirigenten und Sän­gerinnen vorlag. Auch in der Anfangsphase der Versuche, eine Drucklegung des Monodrams zustande zu bringen, spielte dieser Auszug eine große Rolle. Zunächst fertigte Schönberg eine Niederschrift des Klavierauszugs an (Quelle K), in der er auf alle Momente verzichtete, die unstrittig waren (etwa Singstimme oder Tempoangaben). Am 22. Oktober (Schlußda­tum auf der letzten Seite), also etwas mehr als zwei Wochen nach Beendigung der Partiturreinschrift, lag diese Quelle vollständig vor. Die undatierte Reinschrift muß Schönberg dann spätestens Ende des Jahres abgeschlossen haben, möglicherweise aber auch schon zwei Monate zuvor. Erstmals unzweifelhaft erwähnt wird ein Klavierauszug am 5. Januar 1910. Der Auszug befand sich – zusammen mit einer Partitur und einem Textbuch – zu diesem Zeitpunkt in Mannheim. Wann Schönberg seinem Jugendfreund, dem Dirigenten Artur Bodanzky den Klavierauszug geschickt hatte, ist aller­dings nicht bekannt. Da die Aufforderung, das Monodram zu schicken, den Komponisten jedoch bereits am 11. Oktober erreicht hatte, könnte Schönberg die Noten vielleicht auch schon im Oktober oder November eingesandt haben – vorausgesetzt, er arbeitete parallel an mehreren Quellen. Die Möglichkeit, daß Schönberg mit dem Ausschreiben der Reinschrift noch vor der Beendigung der Niederschrift begonnen hat, wird durch die beiden Briefe Hermann Bahrs vom 7. und 10. Oktober eröffnet, in denen von einem neuen Werk und einem Klavierauszug die Rede ist. Wenn dies sich tatsächlich auf die Erwartue beziehen sollte, dann müssen bereits am 17. Oktober, als Anna Bahr-Mildenburg das neue Werk (ausschnittweise) singen wollte, Teile eines reinschriftlichen Klavierauszugs vorgelegen haben. Spätestens zu Beginn des Jahres 1910 muß jedoch bereits ein weiterer reinschriftlicher Klavierauszug existiert haben. Dies geht aus mehreren Dokumenten vom Dezember 1909 sowie vom Januar und Februar 1910 hervor: Spätestens um die Jah­reswende 1909/1910 lag ein Klavierauszug in Mannheim. Am 30. Dezember 1909 aber sandte Schönberg auch an seinen Verleger Max Marschalk die Noten und das Textbuch des Monodrams. Da der Komponist im Begleitschrei­ben auf einen zu druckenden Klavierauszug des Werks zu sprechen kam, ist die Annahme wahrscheinlich, daß sich auch ein handschriftlicher Klavierauszug unter den zugesandten Noten befand. Zwei Klavierauszüge müssen dann unzweifelhaft am 14. Februar 1910 vorgelegen haben, da Schönberg am selben Tag sowohl aus Mannheim als auch von der Universal-Edi­tion jeweils den Klavierauszug zurückverlangte. Dieser zweite Klavierauszug (M*) ist verschollen. Ferner ist weder bekannt, ob Schönberg selbst beide Klavierauszüge schrieb oder ein Kopist (oder Schüler) die zweite Ab­schrift anfertigte, noch ob einer die Vorlage für den anderen gewesen ist oder aber beide im wesentlichen auf die Nieder­schrift K zurückgehen.
(Scheideler, Ullrich: GA, Reihe B, Bd. 6, Teil 2, S. 184-189)

Quellenlage:
Wenngleich die Überlieferung nicht völlig lückenlos ist, so kann die Quellenlage doch als sehr gut bezeichnet werden. Insbesondere dürften die autographen Musikquellen weitgehend vollständig erhalten sein.
Der Bestand der Skizzen und Entwürfe ist relativ klein. Im Nachlaß aufbewahrt werden einige Skizzen (Aa) innerhalb der handschriftlichen Textvorlage Marie Pappenheims (TA), einige wenige Skizzen auf Einzelblättern (Ab) sowie die Erste Niederschrift (B), die im August und September 1909 entstand und in Form eines Particells vorliegt. Erhalten hat sich ferner die autographe Partiturreinschrift (C), die als Stichvorlage für den Erstdruck (F) diente. Eine von Schönberg revidierte Partiturabschrift (D*) scheint hingegen verloren. Überliefert sind fer­ner mehrere Korrekturabzüge (E, durch die der Prozeß der Drucklegung bzw. Korrektur­lesung allerdings nur unvollständig dokumentiert wird. Verschollen sind Zettel mit Korrekturanfragen Erwin Steins an Schönberg, außerdem mindestens ein 3. Korrekturabzug (E3*); eventuell hat es sogar noch einen 4. Korrekturabzug (E4*) gegeben. Vom im April 1917 im Verlag Universal-Edition erschienenen Erstdruck (F) liegt ein Handexemplar Schönbergs vor (Fa), das etliche Eintragungen enthält.
Das Stimmenmaterial ist nur bruchstückhaft überliefert. Die Stimmen (G*), die für die 1910 in Mannheim geplante Uraufführung hergestellt worden sind, dürften verloren sein. Dagegen haben sich ein kurzes Fragment einer Stimme der 1. Geige (H) sowie ein autographer Streichersatz (I, ohne Kontrabaß, Violoncello unvollständig) erhalten. Das vom Verlag Universal-Edition für die im Juni 1924 erfolgte Uraufführung sowie weitere Aufführungen hergestellte Stim­menmaterial (J*) war hingegen nicht auffindbar.
Schließlich existieren zum Monodram Erwartung verschiedene Klavierauszüge, die an einigen wenigen Stellen auch text­kritisch relevant sind. Zunächst fertigte Schönberg selbst noch 1909 einen Klavierauszug an, von dem sowohl die Nieder­schrift (K) als auch die autographe Reinschrift (L) überliefert sind. Ein weiterer handschriftlicher Klavier­auszug (M*), der bereits Anfang 1910 vorgelegen haben muß, ist hingegen ebenso verschollen wie auch eine spätestens wohl im Herbst 1912 angefertigte Verlagskopie (N*); eine erneute Abschrift (O), die von Schönbergs Bruder Heinrich Schönberg stammt, blieb Fragment. Mit der Erstellung des bei der Universal-Edition publizierten Klavierauszugs wurde Eduard Steuermann beauftragt. Sein Manuskript (P) diente als Stichvorlage für den im Januar 1923 erschie­nenen Erstdruck (Q).
(Scheideler, Ullrich: GA, Reihe B, Bd. 6, Teil 2, S. 1)

Besetzung: Orchester, Soli
Gattung: Bühnenwerke --> Monodram
Text:

Text nach GA:

I. Scene
(Am Rande eines Waldes. Mondhelle Straßen und Felder; der Wald hoch und dunkel. Nur die ersten Stämme und der Anfang des breiten Weges noch hell. Eine Frau kommt; zart, weiß gekleidet; teilweise entblätterte rote Rosen am Kleid. Schmuck.)
(zögernd)
Hier hinein?...Man sieht den Weg nicht...Wie silbern die Stämme schimmern...wie Birken!... (vertieft zu Boden schauend) oh unser Garten...Die Blumen für ihn sind sicher verwelkt...Die Nacht ist so warm...
(in plötzlicher Angst)
Ich fürchte mich...
(horcht in den Wald, beklommen)
was für schwere Luft herausschlägt...Wie ein Sturm, der steht...
(ringt die Hände, sieht zurück)
So grauenvoll ruhig und leer...Aber hier ists wenigstens hell...
(sieht hinauf)
der Mond war früher so hell...
(kauert nieder, lauscht, sieht vor sich hin)
Oh noch immer die Grille...mit ihrem Liebeslied...Nicht sprechen...es ist so süß bei dir... der Mond ist in der Dämmerung...
(auffahrend)
feig bist du...willst ihn nicht suchen?...So stirb doch hier...
(wendet sich gegen den Wald)
Wie drohend die Stille ist...
(sieht sich scheu um)
der Mond ist voll Entsetzen...Sieht der hinein?...
(angstvoll)
Ich allein...in den dumpfen Schatten...
Verwandlung
(Mut fassend, geht rasch in den Wald hinein)
Ich will singen...dann hört er mich...
II. Scene
(Tiefstes Dunkel, breiter Weg, hohe, dichte Bäume. Sie tastet vorwärts.)
(noch hinter der Scene)
Ist das noch der Weg?...Hier ist es eben...
(bückt sich, greift mit den Händen, aufschreiend)
Was?...lass los!...
(zitternd auf, versucht ihre Hand zu betrachten)
Eingeklemmt?...Nein, es ist was gekrochen...
(wild, greift sich ins Gesicht)
Und hier auch...Wer rührt mich an?...
(schlägt mit den Händen um sich)
Fort...Nur weiter...um Gotteswillen...
(geht weiter, mit vorgestreckten Armen)
So, der Weg ist breit...
(ruhig, nachdenklich)
Es war so still hinter den Mauern des Gartens... (sehr ruhig) Keine Sensen mehr...kein Rufen und Gehen...Und die Stadt in hellem Nebel...so sehnsüchtig schaute ich hinüber...Und der Himmel so unermesslich tief über dem Weg, den du immer zu mir gehst...noch durchsichtiger und ferner... die Abendfarben...
(traurig)
Aber du bist nicht gekommen...
(stehen bleibend)
Wer weint da?...
(rufend, sehr leise, ängstlich)
Ist hier jemand?
(wartet)
(lauter)
Ist hier jemand?
(wieder lauschend)
Nichts...
(horcht wieder)
aber das war doch...Jetzt rauscht es oben...es schlägt von Ast zu Ast...
(voll Entsetzen seitwärts flüchtend)
Es kommt auf mich zu...
(Schrei eines Nachtvogels)
(tobend)
Nicht her!...laß mich...Herrgott hilf mir...
(hastig)
Es war nichts...
Verwandlung
(beginnt zu laufen, fällt nieder)
nur schnell, nur schnell...
(schon hinter der Scene)
Oh, oh,...was ist das?...Ein Körper...nein, nur ein Stamm...
III. Scene
(Weg noch immer im Dunkel. Seitlich vom Wege ein breiter heller Streifen. Das Mondlicht fällt auf eine Baumlichtung. Dort hohe Gräser, Farne, große gelbe Pilze. Die Frau kommt aus dem Dunkel.)
Da kommt ein Licht!...
Ach! nur der Mond...wie gut...
(wieder halb ängstlich)
Dort tanzt etwas Schwarzes...hundert Hände...
(sofort beherrscht)
Sei nicht dumm...es ist der Schatten...
(zärtlich nachdenkend):
Oh! Wie dein Schatten auf die weißen Wände fällt...
Aber so bald mußt du fort...
(Rauschen) (Sie hält an, sieht um sich und lauscht einen Augenblick)
Rufst du? (wieder träumend) Und bis zum Abend ist es so lang...
(leichter Windstoß) (Sie sieht wieder hin)
Aber der Schatten kriecht doch!...Gelbe, breite Augen... (Laut des Schauderns) So vorquellend...wie an Stielen...Wie es glotzt...
(Knarren im Gras) (entsetzt)
Kein Tier, lieber Gott, kein Tier...ich habe solche Angst...Liebster, mein Liebster, hilf mir...
Verwandlung
IV. Scene
(Mondbeschienene, breite Straße, rechts aus dem Walde kommend. Wiesen und Felder (gelbe und grüne Streifen abwechselnd). Etwas nach links verliert sich die Straße wieder im Dunkel hoher Baumgruppen. Erst ganz links sieht man die Straße frei liegen. Dort mündet auch ein Weg, der von einem Hause herunterführt. In diesem alle Fenster mit dunklen Läden geschlossen. Ein Balkon aus weißem Stein. Die Frau kommt langsam, erschöpft. Das Gewand ist zerrissen, die Haare verwirrt. Blutige Risse an Gesicht und Händen.)
(umschauend)
Er ist auch nicht da...Auf der ganzen, langen Straße nichts lebendiges...und kein Laut...
(Schauer; Lauschen)
Die weiten blassen Felder sind ohne Atem, wie erstorben...kein Halm rührt sich.
(sieht die Straße entlang)
Noch immer die Stadt...Und dieser fahle Mond...
Keine Wolke, nicht der Flügelschatten eines Nachtvogels am Himmel...diese grenzenlose Totenblässe...
(Sie bleibt schwankend stehen)
ich kann kaum weiter...und dort läßt man mich nicht ein...
(Sie hat sich bis in die Nähe der Baumgruppen (links) geschleppt, unter denen es vollständig dunkel ist)
die fremde Frau wird mich fortjagen! Wenn er krank ist! Eine Bank...Ich muß ausruhn...
(müde, unentschlossen; sehnsüchtig)
Aber so lang hab ich ihn nicht gesehen...
(Sie kommt unter die Bäume, stößt mit dem Fuß an etwas)
Nein, das ist nicht der Schatten der Bank! (mit dem Fuß tastend; erschrocken) Da ist jemand...
(beugt sich nieder, horcht)
er atmet nicht...
(Sie tastet hinunter)
feucht...hier fließt etwas...
(Sie tritt aus dem Schatten ins Mondlicht)
es glänzt rot...Ach, meine Hände sind wund gerissen...Nein, es ist noch naß, es ist von dort...
(versucht mit entsetzlicher Anstrengung den Gegenstand hervorzuziehen)
Ich kann nicht...
(bückt sich; mit furchtbarem Schrei)
Das ist er! (Sie sinkt nieder)
(erhebt sich halb, so daß ihr Gesicht den Bäumen zugewendet ist; verwirrt)
Das Mondlicht...nein dort...da ist der schreckliche Kopf...das Gespenst...
(sieht unverwandt hin)
wenn es nur endlich verschwände...wie das im Wald...Ein Baumschatten...ein lächerlicher Zweig...Der Mond ist tückisch...weil er blutleer ist...malt er rotes Blut...
(mit ausgestreckten Fingern hinweisend, flüsternd)
Aber es wird gleich zerfließen...Nicht hinsehen...Nicht drauf achten...Es zergeht sicher...wie das im Wald...
(Sie wendet sich mit gezwungener Ruhe ab, gegen die Straße zu)
Ich will fort...ich muß ihn finden...Es muß schon spät sein...
(Schweigen, Unbeweglichkeit)
(Sie wendet sich jäh um, aber nicht vollständig)
(fast jauchzend)
Es ist nicht mehr da...Ich wußte...
(Sie hat sich weiter gewendet, erblickt plötzlich wieder den Gegenstand)
Es ist noch da...Herrgott im Himmel...
(Ihr Oberkörper fällt nach vorn, sie scheint zusammenzusinken, aber sie kriecht mit gesenktem Haupt bis hin, tastet)
Es ist lebendig...Es hat Haut...Augen, Haar...
(sie beugt sich ganz zur Seite, als wollte sie ihm ins Gesicht sehen)
seine Augen...es hat seinen Mund...Du...du...bist du es...ich habe dich so lang gesucht...im Wald...und... (an ihm zerrend) Hörst du? Sprich doch...sieh mich an...
(entsetzt, beugt sich ganz) (atemlos)
Herr Gott, was ist... (schreiend; rennt ein Stück fort)
Hilfe...
(zum Hause hinauf):
Um Gotteswillen!...rasch!...hört mich denn niemand?...(schaut verzweifelt um sich) er liegt da...
(zurück unter die Bäume)
Wach auf...wach doch auf... (flehend) Nicht tot sein, mein Liebster...Nur nicht tot sein...ich liebe dich so...
(zärtlich, eindringlich)
Unser Zimmer ist halb hell...Alles wartet...die Blumen duften so stark...
(verzweifelt)
Was soll ich tun...Was soll ich nur tun, daß er aufwacht?...
(Sie greift ins Dunkel hinein, faßt seine Hand)
Deine liebe Hand...(zusammenzuckend, fragend)
so kalt?
(Sie zieht die Hand an sich, küßt sie; schüchtern schmeichelnd)
Wird sie nicht warm an meiner Brust?...(Sie öffnet das Gewand, flehend) Mein Herz ist so heiß vom Warten...
die Nacht ist bald vorbei...du wolltest doch bei mir sein diese Nacht...
(ausbrechend)
Oh, es ist heller Tag...Bleibst du am Tage bei mir? Die Sonne glüht auf uns...deine Hände liegen auf mir...mein bist du...Du! Sie mich doch an, Liebster, ich liege neben dir...So sieh mich doch an...
(sieht ihn an, erwachend)
Ah, wie starr...wie fürchterlich deine Augen sind...
(sehr traurig)
drei Tage warst du nicht bei mir...Aber heute...so sicher...der Abend war so voll Frieden...Ich schaute und wartete...(ganz versunken) Über die Gartenmauer dir entgegen...so niedrig ist sie...Und dann winkten wir beide...
Nein, nein...es ist nicht wahr...Wie kannst du tot sein? Überall lebtest du...Eben noch im Wald...deine Stimme so nah an meinem Ohr, immer, immer warst du bei mir...dein Hauch auf meiner Wange...deine Hand auf meinem Haar...
Nicht wahr...es ist wahr?...Dein Mund bog sich doch eben noch unter meinen Küssen...Dein Blut tropft noch jetzt mit leisem Schlag...Dein Blut ist noch lebendig...
(Sie beugt sich tief über ihn)
Oh, der breite rote Streif...Das Herz haben sie getroffen...
Ich will es küssen mit dem letzten Atem...dich nie mehr loslassen... (richtet sich halb auf) (liebkosend) In deine Augen sehn...Alles Licht kam ja aus deinen Augen...mir schwindelte, wenn ich dich ansah...
(in der Erinnerung lächelnd, geheimnisvoll, zärtlich)
Nun küß ich mich an dir zu Tode...
(Sie sieht ihn unverwandt an; nach einer Pause, verwundert)
Aber so seltsam ist dien Auge...Wohin schaust du?
(heftiger)
Was suchst du denn?
(sieht sich um, nach dem Balkon)
Steht dort jemand?
(wieder zurück, die Hand an der Stirn)
Wie war das nur das letzte Mal?...War das damals nicht auch (immer vertiefter) in deinem Blick?...
(angestrengt in der Erinnerung suchend)
Nein, nur so zerstreut...oder...und plötzlich bezwangst du dich...
(immer klarer werdend)
Und drei Tage warst du nicht bei mir...keine Zeit...so oft hast du keine Zeit gehabt in diesen letzten Monaten...
(jammernd, wie abwehrend)
Nein, das ist doch nicht möglich...das ist doch...(in blitzartiger Erinnerung) Ah, jetzt erinnere ich mich...der Seufzer im Halbschlaf...wie ein Name...Du hast mir die Frage von den Lippen geküßt...
Aber warum versprach er mir, heut zu kommen?...
(in rasender Angst)
Ich will das nicht...nein, ich will nicht...
(aufspringend, sich umwendend)
Warum hat man dich getötet?...Hier vor dem Hause...hat dich jemand entdeckt?...
(aufschreiend, wie sich anklammernd)
Nein, nein...mein einzig Geliebter...das nicht...
(zitternd)
Oh, der Mond schwankt...ichkann nicht sehen...Schau mich doch an... (rast plötzlich) Du siehst wieder dort hin?...Wo ist sie denn...
(nach dem Balkon)
die Hexe, die Dirne...die Frau mit den weißen Armen... (höhnisch) Oh, du liebst sie ja die weißen Arme...wie du sie rot küsst...
(mit geballen Fäusten)
Oh, du...du...du Elender, du Lügner...du...Wie deine Augen mir ausweichen! Krümmst du dich vor Scham?
(stößt mit dem Fuß gegen ihn)
Hast sie umarmt...Ja?... (von Ekel geschüttelt) so zärtlich und gierig...und ich wartete...Wo ist sie hingelaufen, als du im Blut lagst?...Ich will sie an den weißen Armen herschleifen... (Gebärde) so
(zusammenbrechend) für mich ist kein Platz da...
(schluchzt auf) Oh! nicht einmal die Gnade, mit dir sterben zu dürfen...
(sinkt nieder, weinend)
Wie lieb, wie lieb ich dich gehabt hab'... (in Träumerei versinkend) Allen Dingen ferne lebte ich...allem fremd. Ich wusste nichts als dich...dieses ganze Jahr...seit du zum ersten Mal meine Hand nahmst. Oh, so warm...nie früher liebte ich jemanden so...Dein Lächeln und dein Reden...ich hatte dich so lieb...
Stille und Schluchzen) (leise, sich aufrichtend)
Mein Lieber...mein einziger Liebling...hast du sie oft geküßt?...während ich vor Sehnsucht verging...
hast du sie sehr geliebt?
(flehend)
Sag nicht: ja...Du lächelst schmerzlich...Vielleicht hast du auch gelitten...vielleicht rief dein Herz nach ihr...
(stiller, warm)
Was kannst du dafür?...Oh, ich fluchte dir... aber dein Mitleid machte mich glücklich...ich glaubte, war im Glück...
(Stille; Dämmerung im Osten, tief am Himmel Wolken, von schwachem Schein durchleuchtet, gelblich schimmernd wie Kerzenlicht.)
(Sie steht auf)
Liebster, Liebster, der Morgen kommt...Was soll ich allein hier tun?...In diesem endlosen Leben...in diesem Traum ohne Grenzen und Farben...denn meine Grenze war der Ort, an dem du warst...und alle Farben der Welt brachen aus deinen Augen...Das Licht wird für alle kommen...aber ich allein in meiner Nacht?...
Der Morgen trennt uns...immer der Morgen...So schwer küsst du zum Abschied...Wieder ein ewiger Tag des Wartens...oh du erwachst ja nicht mehr...Tausend Menschen ziehn vorüber...ich erkenne dich nicht...Alle leben, ihre Augen flammen...Wo bist du?...
Es ist dunkel...dein Kuß wie ein Flammenzeichen in meiner Nacht...meine Lippen brennen und leuchten...dir entgegen...(in Entzücken aufschreiend) Oh, bist du da...(irgend etwas entgegen) Ich suchte...

(Schönberg, Arnold: Erwartung. (Monodram). Dichtung von Marie Pappenheim. In: Scheideler, Ulrich: GA, Reihe B, Bd. 6, Teil 2, S. 176-184, rechte Spalte [Kursive Auszeichnungen (I.-IV. Scene, Verwandlung) sind hinzugefügt.])

Übersetzter Text:

Text nach GA:

 

I. Scene
(Am Rande eines Waldes. Mondhelle Straßen und Felder; der Wald hoch und dunkel. Nur die ersten Stämme und der Anfang des breiten Weges noch hell. Eine Frau kommt; zart, weiß gekleidet; teilweise entblätterte rote Rosen am Kleid. Schmuck.)
(zögernd)
Hier hinein?...Man sieht den Weg nicht...Wie silbern die Stämme schimmern...wie Birken!... (vertieft zu Boden schauend) oh unser Garten...Die Blumen für ihn sind sicher verwelkt...Die Nacht ist so warm...
(in plötzlicher Angst)
Ich fürchte mich...
(horcht in den Wald, beklommen)
was für schwere Luft herausschlägt...Wie ein Sturm, der steht...
(ringt die Hände, sieht zurück)
So grauenvoll ruhig und leer...Aber hier ists wenigstens hell...
(sieht hinauf)
der Mond war früher so hell...
(kauert nieder, lauscht, sieht vor sich hin)
Oh noch immer die Grille...mit ihrem Liebeslied...Nicht sprechen...es ist so süß bei dir... der Mond ist in der Dämmerung...
(auffahrend)
feig bist du...willst ihn nicht suchen?...So stirb doch hier...
(wendet sich gegen den Wald)
Wie drohend die Stille ist...
(sieht sich scheu um)
der Mond ist voll Entsetzen...Sieht der hinein?...
(angstvoll)
Ich allein...in den dumpfen Schatten...
Verwandlung
(Mut fassend, geht rasch in den Wald hinein)
Ich will singen...dann hört er mich...
II. Scene
(Tiefstes Dunkel, breiter Weg, hohe, dichte Bäume. Sie tastet vorwärts.)
(noch hinter der Scene)
Ist das noch der Weg?...Hier ist es eben...
(bückt sich, greift mit den Händen, aufschreiend)
Was?...lass los!...
(zitternd auf, versucht ihre Hand zu betrachten)
Eingeklemmt?...Nein, es ist was gekrochen...
(wild, greift sich ins Gesicht)
Und hier auch...Wer rührt mich an?...
(schlägt mit den Händen um sich)
Fort...Nur weiter...um Gotteswillen...
(geht weiter, mit vorgestreckten Armen)
So, der Weg ist breit...
(ruhig, nachdenklich)
Es war so still hinter den Mauern des Gartens... (sehr ruhig) Keine Sensen mehr...kein Rufen und Gehen...Und die Stadt in hellem Nebel...so sehnsüchtig schaute ich hinüber...Und der Himmel so unermesslich tief über dem Weg, den du immer zu mir gehst...noch durchsichtiger und ferner... die Abendfarben...
(traurig)
Aber du bist nicht gekommen...
(stehen bleibend)
Wer weint da?...
(rufend, sehr leise, ängstlich)
Ist hier jemand?
(wartet)
(lauter)
Ist hier jemand?
(wieder lauschend)
Nichts...
(horcht wieder)
aber das war doch...Jetzt rauscht es oben...es schlägt von Ast zu Ast...
(voll Entsetzen seitwärts flüchtend)
Es kommt auf mich zu...
(Schrei eines Nachtvogels)
(tobend)
Nicht her!...laß mich...Herrgott hilf mir...
(hastig)
Es war nichts...
Verwandlung
(beginnt zu laufen, fällt nieder)
nur schnell, nur schnell...
(schon hinter der Scene)
Oh, oh,...was ist das?...Ein Körper...nein, nur ein Stamm...
III. Scene
(Weg noch immer im Dunkel. Seitlich vom Wege ein breiter heller Streifen. Das Mondlicht fällt auf eine Baumlichtung. Dort hohe Gräser, Farne, große gelbe Pilze. Die Frau kommt aus dem Dunkel.)
Da kommt ein Licht!...
Ach! nur der Mond...wie gut...
(wieder halb ängstlich)
Dort tanzt etwas Schwarzes...hundert Hände...
(sofort beherrscht)
Sei nicht dumm...es ist der Schatten...
(zärtlich nachdenkend):
Oh! Wie dein Schatten auf die weißen Wände fällt...
Aber so bald mußt du fort...
(Rauschen) (Sie hält an, sieht um sich und lauscht einen Augenblick)
Rufst du? (wieder träumend) Und bis zum Abend ist es so lang...
(leichter Windstoß) (Sie sieht wieder hin)
Aber der Schatten kriecht doch!...Gelbe, breite Augen... (Laut des Schauderns) So vorquellend...wie an Stielen...Wie es glotzt...
(Knarren im Gras) (entsetzt)
Kein Tier, lieber Gott, kein Tier...ich habe solche Angst...Liebster, mein Liebster, hilf mir...
Verwandlung
IV. Scene
(Mondbeschienene, breite Straße, rechts aus dem Walde kommend. Wiesen und Felder (gelbe und grüne Streifen abwechselnd). Etwas nach links verliert sich die Straße wieder im Dunkel hoher Baumgruppen. Erst ganz links sieht man die Straße frei liegen. Dort mündet auch ein Weg, der von einem Hause herunterführt. In diesem alle Fenster mit dunklen Läden geschlossen. Ein Balkon aus weißem Stein. Die Frau kommt langsam, erschöpft. Das Gewand ist zerrissen, die Haare verwirrt. Blutige Risse an Gesicht und Händen.)
(umschauend)
Er ist auch nicht da...Auf der ganzen, langen Straße nichts lebendiges...und kein Laut...
(Schauer; Lauschen)
Die weiten blassen Felder sind ohne Atem, wie erstorben...kein Halm rührt sich.
(sieht die Straße entlang)
Noch immer die Stadt...Und dieser fahle Mond...
Keine Wolke, nicht der Flügelschatten eines Nachtvogels am Himmel...diese grenzenlose Totenblässe...
(Sie bleibt schwankend stehen)
ich kann kaum weiter...und dort läßt man mich nicht ein...
(Sie hat sich bis in die Nähe der Baumgruppen (links) geschleppt, unter denen es vollständig dunkel ist)
die fremde Frau wird mich fortjagen! Wenn er krank ist! Eine Bank...Ich muß ausruhn...
(müde, unentschlossen; sehnsüchtig)
Aber so lang hab ich ihn nicht gesehen...
(Sie kommt unter die Bäume, stößt mit dem Fuß an etwas)
Nein, das ist nicht der Schatten der Bank! (mit dem Fuß tastend; erschrocken) Da ist jemand...
(beugt sich nieder, horcht)
er atmet nicht...
(Sie tastet hinunter)
feucht...hier fließt etwas...
(Sie tritt aus dem Schatten ins Mondlicht)
es glänzt rot...Ach, meine Hände sind wund gerissen...Nein, es ist noch naß, es ist von dort...
(versucht mit entsetzlicher Anstrengung den Gegenstand hervorzuziehen)
Ich kann nicht...
(bückt sich; mit furchtbarem Schrei)
Das ist er! (Sie sinkt nieder)
(erhebt sich halb, so daß ihr Gesicht den Bäumen zugewendet ist; verwirrt)
Das Mondlicht...nein dort...da ist der schreckliche Kopf...das Gespenst...
(sieht unverwandt hin)
wenn es nur endlich verschwände...wie das im Wald...Ein Baumschatten...ein lächerlicher Zweig...Der Mond ist tückisch...weil er blutleer ist...malt er rotes Blut...
(mit ausgestreckten Fingern hinweisend, flüsternd)
Aber es wird gleich zerfließen...Nicht hinsehen...Nicht drauf achten...Es zergeht sicher...wie das im Wald...
(Sie wendet sich mit gezwungener Ruhe ab, gegen die Straße zu)
Ich will fort...ich muß ihn finden...Es muß schon spät sein...
(Schweigen, Unbeweglichkeit)
(Sie wendet sich jäh um, aber nicht vollständig)
(fast jauchzend)
Es ist nicht mehr da...Ich wußte...
(Sie hat sich weiter gewendet, erblickt plötzlich wieder den Gegenstand)
Es ist noch da...Herrgott im Himmel...
(Ihr Oberkörper fällt nach vorn, sie scheint zusammenzusinken, aber sie kriecht mit gesenktem Haupt bis hin, tastet)
Es ist lebendig...Es hat Haut...Augen, Haar...
(sie beugt sich ganz zur Seite, als wollte sie ihm ins Gesicht sehen)
seine Augen...es hat seinen Mund...Du...du...bist du es...ich habe dich so lang gesucht...im Wald...und... (an ihm zerrend) Hörst du? Sprich doch...sieh mich an...
(entsetzt, beugt sich ganz) (atemlos)
Herr Gott, was ist... (schreiend; rennt ein Stück fort)
Hilfe...
(zum Hause hinauf):
Um Gotteswillen!...rasch!...hört mich denn niemand?...(schaut verzweifelt um sich) er liegt da...
(zurück unter die Bäume)
Wach auf...wach doch auf... (flehend) Nicht tot sein, mein Liebster...Nur nicht tot sein...ich liebe dich so...
(zärtlich, eindringlich)
Unser Zimmer ist halb hell...Alles wartet...die Blumen duften so stark...
(verzweifelt)
Was soll ich tun...Was soll ich nur tun, daß er aufwacht?...
(Sie greift ins Dunkel hinein, faßt seine Hand)
Deine liebe Hand...(zusammenzuckend, fragend)
so kalt?
(Sie zieht die Hand an sich, küßt sie; schüchtern schmeichelnd)
Wird sie nicht warm an meiner Brust?...(Sie öffnet das Gewand, flehend) Mein Herz ist so heiß vom Warten...
die Nacht ist bald vorbei...du wolltest doch bei mir sein diese Nacht...
(ausbrechend)
Oh, es ist heller Tag...Bleibst du am Tage bei mir? Die Sonne glüht auf uns...deine Hände liegen auf mir...mein bist du...Du! Sie mich doch an, Liebster, ich liege neben dir...So sieh mich doch an...
(sieht ihn an, erwachend)
Ah, wie starr...wie fürchterlich deine Augen sind...
(sehr traurig)
drei Tage warst du nicht bei mir...Aber heute...so sicher...der Abend war so voll Frieden...Ich schaute und wartete...(ganz versunken) Über die Gartenmauer dir entgegen...so niedrig ist sie...Und dann winkten wir beide...
Nein, nein...es ist nicht wahr...Wie kannst du tot sein? Überall lebtest du...Eben noch im Wald...deine Stimme so nah an meinem Ohr, immer, immer warst du bei mir...dein Hauch auf meiner Wange...deine Hand auf meinem Haar...
Nicht wahr...es ist wahr?...Dein Mund bog sich doch eben noch unter meinen Küssen...Dein Blut tropft noch jetzt mit leisem Schlag...Dein Blut ist noch lebendig...
(Sie beugt sich tief über ihn)
Oh, der breite rote Streif...Das Herz haben sie getroffen...
Ich will es küssen mit dem letzten Atem...dich nie mehr loslassen... (richtet sich halb auf) (liebkosend) In deine Augen sehn...Alles Licht kam ja aus deinen Augen...mir schwindelte, wenn ich dich ansah...
(in der Erinnerung lächelnd, geheimnisvoll, zärtlich)
Nun küß ich mich an dir zu Tode...
(Sie sieht ihn unverwandt an; nach einer Pause, verwundert)
Aber so seltsam ist dien Auge...Wohin schaust du?
(heftiger)
Was suchst du denn?
(sieht sich um, nach dem Balkon)
Steht dort jemand?
(wieder zurück, die Hand an der Stirn)
Wie war das nur das letzte Mal?...War das damals nicht auch (immer vertiefter) in deinem Blick?...
(angestrengt in der Erinnerung suchend)
Nein, nur so zerstreut...oder...und plötzlich bezwangst du dich...
(immer klarer werdend)
Und drei Tage warst du nicht bei mir...keine Zeit...so oft hast du keine Zeit gehabt in diesen letzten Monaten...
(jammernd, wie abwehrend)
Nein, das ist doch nicht möglich...das ist doch...(in blitzartiger Erinnerung) Ah, jetzt erinnere ich mich...der Seufzer im Halbschlaf...wie ein Name...Du hast mir die Frage von den Lippen geküßt...
Aber warum versprach er mir, heut zu kommen?...
(in rasender Angst)
Ich will das nicht...nein, ich will nicht...
(aufspringend, sich umwendend)
Warum hat man dich getötet?...Hier vor dem Hause...hat dich jemand entdeckt?...
(aufschreiend, wie sich anklammernd)
Nein, nein...mein einzig Geliebter...das nicht...
(zitternd)
Oh, der Mond schwankt...ichkann nicht sehen...Schau mich doch an... (rast plötzlich) Du siehst wieder dort hin?...Wo ist sie denn...
(nach dem Balkon)
die Hexe, die Dirne...die Frau mit den weißen Armen... (höhnisch) Oh, du liebst sie ja die weißen Arme...wie du sie rot küsst...
(mit geballen Fäusten)
Oh, du...du...du Elender, du Lügner...du...Wie deine Augen mir ausweichen! Krümmst du dich vor Scham?
(stößt mit dem Fuß gegen ihn)
Hast sie umarmt...Ja?... (von Ekel geschüttelt) so zärtlich und gierig...und ich wartete...Wo ist sie hingelaufen, als du im Blut lagst?...Ich will sie an den weißen Armen herschleifen... (Gebärde) so
(zusammenbrechend) für mich ist kein Platz da...
(schluchzt auf) Oh! nicht einmal die Gnade, mit dir sterben zu dürfen...
(sinkt nieder, weinend)
Wie lieb, wie lieb ich dich gehabt hab'... (in Träumerei versinkend) Allen Dingen ferne lebte ich...allem fremd. Ich wusste nichts als dich...dieses ganze Jahr...seit du zum ersten Mal meine Hand nahmst. Oh, so warm...nie früher liebte ich jemanden so...Dein Lächeln und dein Reden...ich hatte dich so lieb...
Stille und Schluchzen) (leise, sich aufrichtend)
Mein Lieber...mein einziger Liebling...hast du sie oft geküßt?...während ich vor Sehnsucht verging...
hast du sie sehr geliebt?
(flehend)
Sag nicht: ja...Du lächelst schmerzlich...Vielleicht hast du auch gelitten...vielleicht rief dein Herz nach ihr...
(stiller, warm)
Was kannst du dafür?...Oh, ich fluchte dir... aber dein Mitleid machte mich glücklich...ich glaubte, war im Glück...
(Stille; Dämmerung im Osten, tief am Himmel Wolken, von schwachem Schein durchleuchtet, gelblich schimmernd wie Kerzenlicht.)
(Sie steht auf)
Liebster, Liebster, der Morgen kommt...Was soll ich allein hier tun?...In diesem endlosen Leben...in diesem Traum ohne Grenzen und Farben...denn meine Grenze war der Ort, an dem du warst...und alle Farben der Welt brachen aus deinen Augen...Das Licht wird für alle kommen...aber ich allein in meiner Nacht?...
Der Morgen trennt uns...immer der Morgen...So schwer küsst du zum Abschied...Wieder ein ewiger Tag des Wartens...oh du erwachst ja nicht mehr...Tausend Menschen ziehn vorüber...ich erkenne dich nicht...Alle leben, ihre Augen flammen...Wo bist du?...
Es ist dunkel...dein Kuß wie ein Flammenzeichen in meiner Nacht...meine Lippen brennen und leuchten...dir entgegen...(in Entzücken aufschreiend) Oh, bist du da...(irgend etwas entgegen) Ich suchte...

(Schönberg, Arnold: Erwartung. (Monodram). Dichtung von Marie Pappenheim. In: Scheideler, Ulrich: GA, Reihe B, Bd. 6, Teil 2, S. 176-184, rechte Spalte [Kursive Auszeichnungen (I.-IV. Scene, Verwandlung) sind hinzugefügt.])

beteiligte Personen: Marie Pappenheim (1882-1966) - Textautor(in)

Erstdruck: Universal-Edition, 1916. (U.E. 5361)
Gesamtausgabe: Reihe A, Bd. 6, S. [1]-107; Reihe B, Bd. 6, Teil 2, S. 1-300, Skizzen: Reihe B, Bd. 6, Teil 2, S. 156-160; Klavierauszug (L): Reihe B, Bd. 6, Teil 1, S. [1]-64

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