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Klavierquartett g-Moll op. 25 von Johannes Brahms

Entstehungszeitraum: 16.07.1937-19.09.1937
Uraufführung: 7. Mai 1938, Los Angeles, Philharmonic Auditorium ( Los Angeles Philharmonic Orchestra; Otto Klemperer, Dirigent)
Quellen:

Schönbergs Handexemplar des Originalphotodrucks
Weitere Quellen:

Vorlage: J. Brahms, Quartett für Pianoforte, Violine, Bratsche und Violoncell g-moll, op. 25, Studienpartitur, N. Simrock, Berlin

Autographe Transparentreinschrift als (vereinfachte) Partitur

Originalphotodruck.G. Schirmer, Inc., New York 1937

Vom Komponisten für seinen Sohn Georg korrigiertes Exemplar des Originaldrucks

Autographe Stimme der 1. Flöte, T. 1-69

Beschreibung:

Die Bedeutung des Werkes von Johannes Brahms für Schönberg ist unermeßlich, nur zu vergleichen mit der des die Zeit von Schönbergs Jugend beherrschenden Richard Wagner. Brahms war für Schönberg das große Vorbild für verantwortliches Komponieren, dafür, daß man sich Zeitströmungen fernzuhalten hat, keine Moden mitmacht. Als vermittelnde Gestalt erscheint hier bedeutungsvoll sein Lehrer, Freund und Schwager Alexander von Zemlinsky. Gewisse charakteristische Eigenschaften der Brahmsschen Musik hat Schönberg zeitlebens in seinem Schaffen kultiviert, zwar nicht so deutlich wie sein Generationsgenosse Reger – der bereits dreiundvierzig-jährig gestorben ist – aber doch unverkennbar. Die außerordentliche Distanz zum Brahmsschen Schaffen, die für die Zwanzigerjahre so bezeichnend ist, daß Alfred Einstein durchaus mit Recht davon sprechen konnte, daß er der einflußloseste Musiker für die moderne Musik sei (wogegen Theodor W. Adorno, der eine andere Neue Musik meinte, heftig opponierte) Für die „Moderne“ ist er zweifellos der einflußloseste aller Meister, was seiner Größe, der Erfüllung seiner geschichtlichen Mission nicht den geringsten Abbruch tut. Alfred Einstein, Artikel Brahms, in: Das neue Musiklexikon, Berlin, 1926, S. 71; Theodor W. Adorno: Brahms aktuell (1934), in: Musikalische Schriften V (= Gesammelte Schriften 18), Frankfurt am Main 1984, S. 200-203], hat Schönberg wohl nicht einmal bemerkt. Und wenn er sie bemerkt hätte, so hätte er darin nichts anderes als eine weitere Bestätigung seiner Ablehnung der damaligen Zeittendenzen gesehen. Schönberg liebte die Musik von Brahms, sehr im Gegensatz zu Igor Strawinsky, Paul Hindemith und Darius Milhaud – um nur einige Repräsentanten der Musik dieser Zeit zu nennen. Und daß er, der im siebten Jahrzehnt seines Lebens stand, auch gerne zurückblickte und den Geist der (eigenen) Vergangenheit suchte, ist von ihm selbst bezeugt. (Ohne diese Neigung hätte die Zweite Kammersymphonie es-Moll op. 38 nicht nach dreißig Jahren beendet werden können.) Daß er schließlich ein Werk von Brahms vornahm, um sich kompositorisch damit zu befassen, ist jedenfalls nicht unverständlich. Also hat Schönberg, vielleicht ermuntert durch Otto Klemperers Zuspruch, im Sommer 1937 das Klavierquartett g-Moll op. 25 für Orchester gesetzt. Er begann die Niederschrift der Partitur am 2. Mai, beendete den ersten Satz am 16. Juli und den letzten am 19. September. Klemperer dirigierte am 7. Mai 1938 die Uraufführung in Los Angeles. Dem Kritiker vom San Francisco Chronicle, Alfred V. Frankenstein, schrieb Schönberg am 18. März 1939 einen aufschlußreichen Brief [Arnold Schoenberg: Letters, ed. Erwin Stein, London 1964, S. 207ff. Die deutsche Übersetzung von Erwin Stein, die vielfach nachgedruckt wurde, wird hier zitiert nach der deutschen Briefausgabe (Briefe, S. 223f.).
Hier ein paar Bemerkungen über Brahms.
Meine Gründe:
1. Ich liebe das Stück.
2. Es wird selten gespielt.
3. Es wird immer sehr schlecht gespielt, weil der Pianist desto lauter spielt, je besser er ist, und man nichts von den Streichern hört. Ich wollte einmal alles hören, und das habe ich erreicht.
Meine Absichten:
1. Streng im Stil von Brahms zu bleiben und nicht weiter zu gehen, als er selbst gegangen wäre, wenn er heute noch lebte.
2. Alle die Gesetze sorgfältig zu beachten, die Brahms befolgte, und keine von denen zu verletzen, die nur Musiker kennen, welche in seiner Umgebung aufgewachsen sind.
Wie ich das gemacht habe:
Ich bin seit fast 50 Jahren mit dem Stil von Brahms und seinen Prinzipien gründlich bekannt. Ich habe viele seiner Werke für mich selbst und mit meinen Schülern analysiert. Ich habe als Violaspielerer und Cellist dieses und viele andere Werke oft gespielt: ich wußte daher, wie es klingen soll. Ich hatte nur den Klang auf das Orchester zu übertragen, und nichts sonst habe ich getan.
Natürlich gab es da viele schwere Probleme. Brahms liebt sehr tiefe Bässe, für welche das Orchester nur eine kleine Zahl von Instrumenten besitzt. Er liebt volle Begleitung mit gebrochenen Akkordfiguren, oft in verschiedenen Rhythmen. Und die meisten dieser Figuren können nicht leicht geändert werden, weil sie in seinem Stil gewöhnlich strukturelle Bedeutung haben. Ich glaube, ich habe diese Probleme gelöst; aber meine Leistung wird unseren heutigen Musikern nicht viel bedeuten, weil sie die Probleme nicht kennen; und wenn man ihnen zeigt, daß es solche gibt, interessiert es sie nicht. Mir aber bedeuten sie was. Ich hoffe, dies wird Sie zufriedenstellen.
[...]

Dear Mr Frankenstein:
Here
[are] a few remarks about the ,Brahms‘.
My reasons:
1. I like this piece.
2. It is seldom played.
3. It is always very badly played, because the better the pianist, the louder he plays and you hear nothing from the strings. I wanted once to hear everything, and this I achieved.
My intentions:
1. To remain strictly in the style of Brahms and not to go farther then he himself would have gone if he lived today.
2. To watch carefully all these laws which Brahms obeyed and not to violate [any of those] which are only known to musicians educated in his environment.
How I did it:
I am for almost 50 years very thoroughly acquainted with Brahm’s style and his principles. I have analysed many of his works for myself and with my pupils. I have played as violist and cellist this work and many others numerous times: I therefore knew how it should sound. I had only to transpose this sound to the orchestra and this is in fact what I did.
Of course, there were heavy problems. Brahms likes very low Basses, of which the orchestra possesses only a small number of Instruments. He likes a full accompaniment with broken chord figures, offen in different rhythms. And most of these figures can not easily be changed, because generally they have a structural meaning in his style. I think I resolved these problems, but this merit of mine will not mean very much to our present-day musicians because they do not know about them and if you tell them there are such, they do not care. But to me it means something.
I hope this satisfies you.
Many thanks for your kindly mentioning our meeting in my home and we really hope ourselves to see you once in your home: perhaps an the occasion of a visit to the would fair. Yours very sincerely,
Arnold
Schoenberg

Schönberg selbst nannte die Bearbeitung gelegentlich im Scherz Brahms’ „Fünfte Symphonie“. Der Erfolg, der sich mittlerweile eingestellt hat, mag ihm Recht geben.
Ein Bild der Atmosphäre, die das Milieu von Entstehungszeit und -ort charakterisiert, und das darüber hinaus für alle Beteiligten bezeichnend ist, gibt Klemperer in seiner ungezwungenen Erzählung, die zugleich einen hübschen Abschluß für diese Einleitung bildet [Peter Heyworth (Hg.): Gespräche mit Klemperer, Frankfurt am Main 1974, S. 130 ff.]:
[...] Später drängte ich ihn, so etwas wie eine Transkription zu schreiben, und er bearbeitete Brahms’ Klavier-Quartett in g-moll für volles Orchester – eine wundervolle Sache. Das ist kaum aufgeführt in Europa – so gut wie gar nicht. Ich würde es gerne noch mal machen, es klingt fabelhaft. Man mag das Originalquartett gar nicht mehr hören, so schön klingt die Bearbeitung. [...]
Also, er instrumentierte den Brahms und sagte, er müsse das Honorar gleich bekommen, vor der Aufführung. Denn er müsse die Partitur nach Wien schicken, wo ein Verwandter die Stimmen schreiben werde. Ich sagte ihm, es ist hier eigentlich nicht Sitte, daß man den Komponisten vor der Aufführung bezahlt. Aber Schönberg verlangte 300 Dollar – nicht als Vorschuß, sondern dafür, daß er die Partitur nach Wien schickte. Ich wollte keinen Krach machen und schickte ihm einen Scheck aus eigener Tasche. Ich sagte ihm, ich kann den Manager darum nicht bitten, der hielte mich ja für verrückt. Das sei die einzige Möglichkeit, die Sache zu regeln. „Ja“, sagte er, „Sie haben das einzig Richtige getan.“ Dann sagte er: „Hätten Sie was dagegen, wenn ich die Uraufführung nach New York gebe?“ Natürlich war ich verärgert, aber das New Yorker Konzert fiel aus, und ich machte schließlich doch die Uraufführung.
Das war der „Streit“, den ich mit ihm hatte. Ansonsten waren wir gute Nachbarn. Ich weiß noch, daß er zu allen Proben kam und mir Ratschläge gab, als ich ,Das Lied von der Erde‘ machte. Aber ich muß Ihnen eine nette Geschichte erzählen. Als wir die Brahms-Bearbeitung spielten, sagte der Manager des Orchesters von Los Angeles: „Ich weiß gar nicht, warum die Leute sagen, Schönberg hat keine Melodien. Das war doch sehr melodisch.“
GA, Reihe B, Bd. 25/26, S. XXXIII-XXXIV)

Besetzung: Orchester
Gattung: Bearbeitungen --> Bearbeitungen für Orchester
beteiligte Personen: Johannes Brahms (1833-1897) - Komponist(in)

Erstdruck: G. Schirmer, Inc. New York 1937
Gesamtausgabe: Reihe A, Band 25/26; Reihe B, Band 25/26

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