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Pelleas und Melisande. Symphonische Dichtung für Orchester

Opus: op. 5
Entstehungszeitraum: 07.1902-28.02.1903
Uraufführung: 25. Januar 1905, Wien, Großer Musikvereinssaal (Orchester des Wiener Konzertvereines; Arnold Schönberg, Dirigent). Quelle: Programm (Arnold Schönberg Center Image Archive, ID 4893).
Quellen:

Skizzen [Aa]

Skizzen [Ab]

Skizzen in einem kleinen Skizzenbuch

Niederschriften in Quelle A des IV. Streichquartetts op. 37

Unvollständige Niederschrift der Partitur (T. 1-53, davon T. 49-53 nur im Bereich der Holzbläsergruppe)

Partiturreinschrift, autograph
Weitere Quellen:

Überklebte frühere Fassung der Takte 350-354 in 9.

Niederschrift im I. Skizzenbuch

Klavierauszug (Particell?), von Schönberg verfertigt

Handschriftliches Stimmenmaterial der Uraufführung, teilweise autograph

Unvollständige, im Auftrag der Verlags Dreililien Berlin hergestellte autographische Partiturabschrift, bestehend aus 15 Bögen

Partiturabschrift, möglicherweise autograph; zugleich Autographiervorlage für den Erstdruck

Erstdruck, Kopistenautographie. Universal-Edition A.G. Wien-Leipzig 1911, U.E. 3371

Schönbergs 1. Handexemplar des Originaldrucks

Schönbergs 2. Handexemplar des Originaldrucks

Schönbergs 3. Handexemplar des Originaldrucks

Orchesterstimmen zum Erstdruck. Universal-Edition A,G. Wien-Leipzig, U.E. 3372 (die Streicherstimmen mit dem zusatz kleiner Buchstaben: von I. Geige bis Kontrabaß 3372a bis 3372e)

Fehlerliste zum Erstdruck, autograph

Fehlerliste zum Erstdruck (Durchschläge einer autographen Fehlerliste) und zu den Orchesterstimmen (von fremder Hand); insgesamt 45 Blätter

Fehlerliste zu 1. Oboe

Revidierter und gestochener Neudruck. Universal-Edition A.G. Wien-Leipzig 1920, U.E. 3371

Schönbergs Handexemplar der revidierten Ausgabe

Orchesterstimmen zu der revidierten Ausgabe. Universal-Edition A.G. Wien-Leipzig, U.E. 3372 (die Streicherstimmen mit dem Zusatz kleiner Buchstaben: von I. Geige bis Kontrabaß 3372a bis 3372e)

Beschreibung:

Schönberg komponierte seine symphonische Dichtung Pelleas und Melisande op. 5 – sein erstes vollendetes Orchesterwerk – im Juli 1902, nachdem er mit der Skizzierung wohl schon im Juni begonnen hatte. Nur eine einzige überlieferte Da­tumsangabe dokumentiert den Kompositionsprozeß: 4/7. 1902. Diese Datierung befindet sich auf einem Skizzenblatt, das bereits einem fortgeschrittenen Stadium der Komposition zugehört (Quelle Aa).
Für den Abschluß der heute verschollenen Ersten Niederschrift (möglicherweise identisch mit Quelle D*) kann durch eine Postkarte Alexander Zemlinskys an Schönberg vom 3. August 1902 (Poststempel) als Terminus ante quem Ende Juli 1902 festgelegt werden. Auf eine entsprechende, nicht überlieferte Mitteilung Schönbergs hin äußerte Zemlinsky sein Erstaunen darüber, daß Schönberg fertig componirt habe.
Die Instrumentation erfolgte in zwei zeitlich getrennten Phasen mit einer Unterbrechung, die nach Fertigstellung wohl der ersten beiden Teile des Werkes in der zweiten Oktoberhälfte 1902 eintrat. Die Übersendung der fertiggestellten ersten Par­titurhälfte an Zemlinsky ist durch dessen Brief an Schönberg vom 30. Oktober 1902 (Poststempel) dokumentiert. Das Schlußdatum der Partiturreinschrift ist der 28. Februar 1903.
Bevor dieser Zeitrahmen anhand der überlieferten Dokumente im einzelnen beschrieben wird, ist der Frage nachzugehen, wann Schönberg das seiner symphonischen Dichtung zugrundeliegende Drama Maeterlincks kennengelernt hat. Dazu ist es notwendig, andere für die Datierung relevante Dokumente einzubeziehen:
1) Schönbergs Kalender von 1900 (ASC)
2) Textskizze Symphonische Einleitungsmusik zu Pelleas und Melisande von Maeterlinck (ASC; Signatur T 27.11)
3) Textskizze Hans im Glück. Eine symphonische Dichtung (ASC; Signatur T 27.11)
4) Skizzenseite Archivnr. 2343: Particell-Fragment Hans im Glück und frühe Skizzen zu den Gurre-Liedern (ASC)
Durch Clara Steuermanns Aufsatz über Schönbergs Kalender ist bekannt, daß Schönberg mit dem Drama schon vor 1902 in Berührung gekommen sein muß, da sein Taschenkalender für das Jahr 1900, der erste überhaupt erhaltene, einen ent­sprechenden Eintrag aufweist. Dort findet sich auf dem Notizblatt für den Monat März als erster Eintrag die Notiz: Pelleas u. Melisande | Maeterlinck
Die Art dieser Notiz läßt wohl den Schluß zu, daß Schönberg das Drama vor dem Zeitpunkt, zu dem der Eintrag vorgenommen wurde, unbekannt war. Auch ein Zusammenhang mit der Wiener Erstaufführung des Dramas, die im Juli 1900 stattfand, erscheint möglich. Der zweite Eintrag auf der März-Seite betrifft eine Wiener Adresse (Max Messer VI. Mariahilferstr. 113). Durch die Anordnung der beiden Einträge ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen, daß Schönberg den maßgeblichen ersten Eintrag zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen hat. Die Benutzung des Taschenkalenders im laufenden Jahr 1900 ist, wenngleich die letzten fünf Notiz­blätter unbeschrieben geblieben sind, aufgrund eindeutiger Datumseinträge erwiesen. Darüber hinaus ist das Notizblatt für den Monat Februar mit Daten sowie mit Namen und Adressen jener Personen beschrieben, mit denen Schönberg in die­ser Zeit regelmäßig Streichquartett gespielt hat: Hugo Riesenfeld, Edward Falck und Artur Bodanzky. Dem scheinbar ent­gegen steht der Eintrag einer Wiener Adresse Schönbergs auf dem Notizblatt für Jänner, die erst ab Juli 1901 nachgewie­sen ist. Es ist jedoch, wenn man die Einträge insgesamt überblickt, eher zu vermuten, daß Schönberg diese Adresse sehr viel früher zumindest gekannt hat. 
Daß Schönberg die frühe Pelleas-Textskizze vor dem Kalendereintrag niedergeschrieben hat, darf somit wohl als un­wahrscheinlich gelten. Außerdem bietet die in dem Konvolut von sieben Textfragmenten überlieferte Textskizze zu Hans im Glück unter Einbeziehung des zugehörigen Particell-Fragments, das auf einer Skizzenseite mit frühen, auf April 1900 zu datierenden Skizzen zu den Gurre-Liedern überliefert ist, ein Indiz für die Datierung der Pelleas-Textskizze. In be­zug auf die Textskizze zu Hans im Glück kann die Datierung der Gurre-Lieder-Skizzen als Terminus ante quem angese­hen werden, da die Niederschrift des Particell-Fragments auf dem oberen Teil der Seite eindeutig der der Skizzen voranging. Darüber hinaus wird durch die Verwendung derselben Papiersorte für die Textskizzen zu Pelleas und Hans im Glück (und die übrigen fünf Texte) ein zeitlicher Zusammenhang nahegelegt und durch die gemeinsame Überlieferung gestützt.
Stellt man den aus dem Kalendereintrag abgeleiteten Terminus post quem dem in bezug auf das Particell-Fragment zu Hans im Glück festgestellten Terminus ante quem gegenüber, so läßt sich der Zeitraum, in dem die frühe Textskizze zu Pelleas und Melisande niedergeschrieben wurde, recht genau auf März bis April 1900 eingrenzen. Dieser Zeitraum fällt zusammen mit dem Beginn der Komposition der Gurre-Lieder.
Erst 1950 hat Schönberg in einem kurzen, anläßlich einer Rundfunksendung der ersten Schallplattenaufnahme seiner sym­phonischen Dichtung entstandenen Einführungstext seinen urprünglichen Plan der Vertonung als Oper erwähnt, ohne auf die genauen Entstehungsumstände einzugehen.
Schönbergs Vorlage für die Komposition war die 1897 bei F. Schneider & Co. in Berlin erschienene erste deutsche Ausgabe von Maeterlincks Pelleas und Melisande in der Übersetzung von George Stockhausen. Das von Schönberg benutzte Exem­plar ist allerdings nicht nachweisbar. In seiner Bibliothek, die eine ganze Reihe von Maeterlinck-Titeln enthält, findet sich nur die zweite, 1903 bei Eugen Diederichs in Leipzig erschienene deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Friedrich von Oppeln-Bronikowski. Sie scheidet schon aufgrund des Erscheinungsdatums als Vorlage aus. Schönbergs Exemplar dieser Ausgabe weist auch keine Eintragungen auf.
Am 27. April 1902 schrieb Schönberg an die Gattin des Bauunternehmers Carl Redlich - des Widmungsträgers der Sechs Lieder op. 3 -, der, wie Schönberg noch ein halbes Jahrhundert später bemerkt hat, ein bedeutender Kunstmäzen war: Richard Strauß hat meine Sachen sehr interessant gefunden; er will sich das Sextett, wenn es gespielt wird anhören und sagte ich möge ihm wenn ich etwas für Orchester habe es bringen, er werde es aufführen.
Strauss, der dem jungen Schönberg auf vielfältige Weise beratend beistand - durch seine Empfehlung erhielt dieser für zwei Jahre das für damalige Verhältnisse hoch dotierte Liszt-Stipendium -, vermittelte auch eine Lehrtätigkeit am Sternschen Konservatorium in Berlin, wo Schönberg in untergeordneter Stellung [...] Anfangsgründe und Harmonielehre unterrichtete. (Schönberg, Selbstbiographie, 16. Juni 1912)
Zur Existenzsicherung trug ferner auch eine Kopistentätigkeit bei, mit der Schönberg direkt von Strauss beauftragt wurde. Für die kommende Saison stellte Strauss eine Aufführung der symphonischen Dichtung Schönbergs in Aussicht. Von sei­nem Sommeraufenthalt im oberbayrischen Marquartstein schrieb er am 19. Juli 1902, als deren Erste Niederschrift wohl gerade vor dem Abschluß stand:
Ich bin mit Vergnügen bereit, Ihre Bewerbung bei Professor Holländer zu unterstützen, wenn derselbe bei mir anfrägt. Ihre Partitur: Pel­leas u. M., der ich mit Interesse entgegensehe, müßte ich spätestens Anfang September (in Berlin) in Händen haben, wenn es mir möglich sein soll, sie eventuell zu berücksichtigen!
Hinsichtlich der genauen Entstehungsumstände dieses Werkes sieht man sich, von jenem Tagesdatum 4/7. 1902 abgesehen, auf Zemlinskys Briefe an Schönberg verwiesen. Wann Schönberg die verschollene Erste Niederschrift abgeschlossen hat, läßt sich anhand der bereits erwähnten Postkarte Zemlinskys vom 3. August 1902 aus der Sommerfrische in Altmünster recht genau bestimmen:
Ich bin erstaunt, daß du fertig componirt hast ich bin immer noch nicht fertig, beginne aber trotzdem jetzt zu instrumentiren.
Die Formulierung fertig componirt bezieht sich nur auf den Abschluß der Ersten Niederschrift resp. des Particells, dem die Instrumentation in einem zweiten, getrennten Arbeitsgang nachfolgte. Zemlinsky und Schönberg arbeiteten beide an ei­nem symphonisch-programmatischen Werk, Zemlinsky an seiner symphonischen Dichtung Die Seejungfrau nach dem Mär­chen von Hans Christian Andersen; er hatte damit, was sein Erstaunen über das Arbeitstempo des Freundes erklären könnte, wohl einige Monate früher begonnen als Schönberg mit seiner Tondichtung nach Maeterlinck, und sich, wie das Briefzi­tat zeigt, entschlossen, die in der Regel sukzessiven Entstehungsstufen der Niederschrift zu verschränken.
Die zeitlich parallele Entstehung beider Werke bewirkte in Hinblick auf eine realistische Aufführungsmöglichkeit eine Al­lianz ihrer Schöpfer, die sich zunächst, allerdings ohne das erwünschte Resultat, auf Richard Strauss konzentrierte. Aber ein Widerhall dieser Bemühungen und gegenseitigen Ermunterungen findet sich doch in der Tatsache, daß beide Werke schließlich in demselben Konzert zur Uraufführung gelangten (25. Januar 1905).
Am 9. August 1902 wollte Zemlinsky genaueres über den Umfang des Pelleas wissen:
Ich bin wüthend, daß du deine Sache fertig componirt hast - ich bin noch nicht fertig. Wie lang ist deine Sache. Mein Stück dauert doch 3/4 Stunde Aufführungszeit. Ich instrumentire jetzt daran u. componir erst in Wien den Schluss.
Auch Schönberg war zu diesem Zeitpunkt mit der Instrumentation befaßt, denn zehn Tage später, am 19. August, schrieb Zemlinsky:
Ich habe heute deinen Brief bekommen, freue mich, daß du auch nicht fertig wirst mit deiner Arbeit. Meine wird mindestens doppelt so lang!
Trotz der mit Strauss verknüpften Hoffnung auf eine Aufführung in Berlin hatte Schönberg Zemlinsky vorgeschlagen, sich auch an den Wiener Dirigenten Ferdinand Löwe, den Leiter des Wiener Konzertvereins, mit dem Zemlinsky in Kontakt stand, zu wenden. Zemlinsky betrachtete diese Möglichkeit hingegen mit Skepsis und schrieb am 4. September 1902: L. Fr. ich denke es wird nicht leicht sein bei Löwe er ist sehr unselbständig, u. - -! Ich werde es aber versuchen - am besten wäre wohl, du schickst ihm die Partitur.
Schönberg könnte an der Instrumentation des Pelleas und der Gurre-Lieder auch parallel gearbeitet haben könnte. Mit der Instrumentation der Gurre-Lieder war er zunächst bis 1903 befaßt, vollendete sie dann aber erst 1910-1911. Der bekannte Brief Schönbergs an Alban Berg (24. Januar 1913), den dieser im Vor­wort seines Gurrelieder-Führers ausführlich zitiert hat, gibt Aufschluß über die einzelnen Entstehungsstufen. Dort heißt es: In Berlin Mitte 1902 fortgesetzt. Dann große Unterbrechung wegen Operetteninstrumentation. Mitte, d. h. Juli 1902 hatte Schön­berg erwiesenermaßen aber bereits mit der Komposition seiner symphonischen Dichtung begonnen, die nach Ausweis der zitierten Postkarte Zemlinskys Anfang August (als Erste Niederschrift) beendet und sicher sogleich auch instrumentiert wurde, bis die Arbeit durch äußere Gründe beiseite gelegt werden mußte. Das Dilemma der ungewollten Arbeitsunterbre­chung, mit dem sich Schönberg konfrontiert sah und das ihn, nachdem er es in jenem Brief an Berg benannt hatte, zu der Klage veranlaßte, er sei ja immer am Komponieren verhindert worden, bestand also in der Notwendigkeit, zur Existenzsicherung ein unvorstellbar großes Arbeitspensum an Operetteninstrumentationen auf sich zu nehmen: Nach einer von Josef Rufer mitgeteilten Notiz hat Schönberg 7000 Partiturseiten instrumentiert. Sich von einer derartigen Brotarbeit abhängig zu wissen, war aber besonders mißlich, da die Instrumentation von Pelleas und Melisande, die doch durch das von Strauss signalisierte Interesse unter einem gewissen Terminzwang stand, deswegen nicht vorankam. Diesbezüglich zeigte sich Schönberg in einem weiteren Brief an Frau Redlich sorgenerfüllt, obschon er seine Zukunftsaussichten insgesamt als posi­tiv und verheißungsvoll ansah. Er war Vater geworden, und für Anfang Oktober stand der jungen Familie ein Umzug nach Charlottenburg bevor. Zwei Aufträge für Operetteninstrumentationen, die gut bezahlt waren, lagen vor. Auf die bereits erwähnte Lehrtätigkeit am Sternschen Konservatorium bestand Hoffnung. Und schließlich waren Aufführungen seines Streichsextetts Verklärte Nacht in mehreren Städten geplant. Schönberg schrieb am 18. September 1902:
Dann habe ich Aussicht meine nächste symphonische Dichtung in den Tonkünstler-Orchester-Concerten, die Richard Strauß leitet, zur Aufführung zu bringen. Es dreht sich nur darum, ob ich rechtzeitig fertig werden kann. Da mich aber diese verdammten Operetten-Instrumentationen beschäftigen, werde ich kaum rechtzeitig fertig und es wird sich zeigen, ob Richard Strauß mir zuwarten kann und will. Schönberg hatte also, wenn auch das eigene Schaffen vorerst hintangestellt werden mußte, Grund zur Zuversicht. Doch schon eine Woche darauf, am 25. September, ging ein Bittschreiben an Frau Redlich. Schönberg war von einem der Auf­traggeber, James Rothstein, dem Überbrettl-Tonhelden, nicht pünktlich honoriert worden, so daß sich ihm kein anderer Ausweg als die wiederholte Inanspruchnahme ihrer Generosität bot. Der Brief ist darüber hinaus ein wichtiges Dokument, weil Schönberg hier konkret anführt, mit welch immensem täglichen Arbeitspensum er diese Brotarbeit zu bewältigen imstande war. Die Instrumentation der Rothstein-Operette ging mit durchschnittlich 25 bis 30 Partiturseiten pro Tag vonstatten, an einem Tag erstellte Schönberg, der täglich sechs bis neun Stunden mit dieser Arbeit zubrachte, sogar 40 Seiten. Es gab aber, da er trotz dieser unbefriedigenden Situation Aufwind verspürte, auch Erfreuliches zu berichten:
Ich war wieder bei Richard Strauß. Er war unglaublich nett gegen mich und will sehr viel für mich thun. Vor allem reiche ich in seinem Namen mein Sextett für das nächstjährige Musikfest ein. Er ist selbst im Comite und wird es durchsetzen. Dann will er selbst dem Director des Sternschen Conservatoriums sagen, daß er mich anstellen soll. Ferner werde ich, falls ich rechtzeitig fertig werde, meine symphonische Dichtung selbst dirigieren. Auf alle Fälle wird er eine Probe ansetzen in der ich meine und Zemlinskys Sache dirigieren soll. Das wird mir sicher viel nützen. Zum Schluß aber das Großartigste. Er wird mir das Liszt-Stipendium verschaffen. Er ist auch da im Comite. Das ist nicht nur eine große Summe, sondern auch eine ganz gewaltige Ehre.
Schon zu diesem Zeitpunkt war Schönberg, angeregt durch Strauss' Vorschlag, also entschlossen, die Uraufführung seines Orchesterwerkes selbst zu leiten (was 1905 schließlich an anderer Stelle geschah).
Zemlinsky drängte mittlerweile sehr darauf, das neue Werk des Freundes kennenzulernen, zumal dieser den 1. Teil der See­jungfrau schon gesehen hatte, und fragte daher noch einmal an:
Kannst du mir nichts von deinem Pelleas u. M[elisande] schicken?
Schönberg hat daraufhin die noch unvollständige, erst vier Monate später abgeschlossene Partiturreinschrift (Quelle C, Schlußdatum: 28. Februar 1903) an Zemlinsky geschickt. Ohne sich eine Meinung über das Gesamte bilden zu können, zeigte sich Zemlinsky angesichts der Komplexität der Partitur beeindruckt und schrieb am 30. Oktober 1902:
Lieber Freund, Deine Composition schickte ich dir noch nicht, weil ich nach dreimaligem, genauestem Durchsehen, mit bestem Willen noch keinen ganzen Eindruck hatte; wiewohl ich errathen konnte, dass ein grosser Eindruck nach nur einmaligem Hören für mich nicht ausbleiben kann. Das Werk ist eben so complicirt, wie ich keines vorhergesehen habe. Heldenleben war mir dagegen eine Partitur von Beet­hoven was Einfachheit betrifft! Und ich bin doch sonst nicht so sehr ungeschickt. Ich kann auch heute nicht sagen, ich bin mir ganz klar, die Composition ist wunderschön od. dergl.
Aber klar ist mir: dass die Sache fabelhaft an Kunst ist. Höchstes was Polyphonie betrifft, glänzend in der Instrumentation, wenn auch Letztere nicht ganz einwandfrei für mich. Ich glaube vieles ist zu überladen, vieles nicht ausführbar oder nur ganz selten. Aber das ist Nebensache - das Ganze ist eine kolossale Arbeit, vor der ich mich gerne verneige.
Da Zemlinsky in seinen Detailkommentaren die „Szene am Schloßturm“ (T. 244 ff.) ihrer kompositorischen Faktur wegen besonders rühmt, muß ihm die Partitur bis mindestens dahin vorgelegen haben. Schönberg wird, wie man wohl annehmen darf, nur vollständig instrumentierte Abschnitte resp. Szeneneinheiten aus der Hand gegeben haben. Daher erscheint als Hy­pothese plausibel, daß zu diesem Zeitpunkt bereits die komplette „Szene am Schloßturm" instrumentiert war. Ob der ge­samte II. Teil der symphonischen Dichtung, d. h. auch die sich anschließende „Szene in den Gewölben unter dem Schlosse" (T. 283ff.), bereits in Partitur vorgelegen hat, wie dies von Egon Wellesz mitgeteilt wurde, ist nicht erwiesen. Einzig der Wechsel in der Schreibweise des Großbuchstabens G (1. und II. Geige), der sich in der Partiturreinschrift (Quelle C) be­merkbar macht, bietet ein in diese Richtung weisendes Indiz. Er findet statt beim Übergang von S. 42 (Ende II. Teil) nach S. 43 (Anfang III. Teil).
Zemlinsky griff noch einige Einzelstellen heraus, die ihm besonders lobenswert und teils ganz grossartig erschienen. Aller­dings hielt er die Tristan-Reminiszenz in der Einleitung (T. 31-33) für unbedingt verbesserungsbedürftig. Gleichwohl hat Schönberg dem Rat des Freundes in diesem Punkt keine Beachtung geschenkt.
Erst mehr als ein Vierteljahr später, am 19. Februar 1903, erkundigte sich Zemlinsky wieder nach dem Stand der Arbeit, deren Beendigung nunmehr unmittelbar bevorstand. Er war der Ansicht, daß die Aufführung eines weiteren Schönberg­schen Werkes in Wien erforderlich sei, sollte die fast ein Jahr zurückliegende Uraufführung der Verklärten Nacht nicht in Vergessenheit geraten:
Wird P[elleas] u. Melisa. für die nächste Saison fertig? Vielleicht bringt Löwe die Sache.
Schönberg hat die am 28. Februar 1903 fertiggestellte Partiturreinschrift nicht sofort nach Wien geschickt, sondern ver­mutlich seinem Förderer in Berlin, Richard Strauss, vorgelegt. Denn Zemlinsky verlangte noch mehr als zwei Wochen spä­ter, am 17. März 1903, ebenfalls nach der kompletten Partitur.
Der von Zemlinsky im Februar angesprochenen Aufführungsmöglichkeit durch Löwe stand Schönberg wohl hoffnungs­voll gegenüber, was Zemlinsky aber skeptisch beurteilte und später, nachdem er einen Eindruck vom gesamten Werk gewonnen hatte, für vollkommen ausgeschlossen hielt. Schönberg sandte das Manuskript dann aber erst ab, nachdem Zemlinsky am 31. März nochmals daran erinnert hatte.
Nachdem ihm die vollständige Partitur zugegangen war, brachte Zemlinsky sehr ausführlich seine Ansicht darüber zu Pa­pier, wobei er einzelne Formulierungen aus seinem Brief vom 30. Oktober des Vorjahres wieder aufgriff, um in seinem Urteil daran anzuknüpfen:
[...] es ist das ungeheuer Schwierigste, das mir je untergekommen. R. Strauss' Heldenleben ist nur eine Kinderei dagegen. Verliere jeden Augenblick den melodischen od. harmonischen Faden; muss wieder beginnen, u. schliesslich thun mir Kopf u. Augen so weh, dass ich auf-hören muss. Eines weiss ich heute schon: es ist das Kunstvollste, das in unserer Zeit geschrieben wurde. [...] Die Instrumentation ist durchaus geistvoll u. theilweise ganz neu - aber ... ich halte sie für ganz unpraktisch - nicht weil die Partitur schwer spielbar, ich glaube, daß vieles, sehr vieles nicht klingen kann, infolge der überladenen Polyphonie.
Sollte ein Dirigent die klanglichen Probleme der Partitur zu meistern imstande sein, sei das die schönste Partitur, die man haben kann. Zemlinsky glaubte aber nicht recht, daß dies überhaupt möglich sei, und wer - außer ihm selbst - würde sich diese unsinnige Mühe geben! Er braucht 4 Wochen bis er das Werk - u. zw. nur durch Clavierauszug - kennen lernt, ebensoviel für Proben! Schönberg solle, so Zemlinsky, zunächst einmal ein Friedenswerk komponieren: Praktischer, übersichtlicher - wenn auch ganz Schönberg! Nur dadurch sei seiner symphonischen Dichtung und den Gurre-Liedern der Weg zu ebnen. Das Stück in Löwes Konzerten unterzubringen hielt Zemlinsky jetzt für undenkbar: Löwe kann diese Partitur - wenn er noch 80 Jahre alt wird - nie lesen, nie einstudieren. Zudem sei der Konzertverein nicht in der Lage, die für die große Orchesterbesetzung zusätzlich erforderlichen Musiker zu bezahlen. Er selbst werde sein neues Orche­sterwerk auch nicht Löwe vorlegen, wenn Schönberg aber durchaus wolle, werde er es mit Pelleas versuchen. Schließ­lich kündigte Zemlinsky an, sich unverzüglich einen Gesamteindruck von der Komposition verschaffen zu wollen: Jetzt mache ich mich an den Clavierauszug (?) v. Pelleas. Diese Bemerkung bezieht sich auf die heute verschollene Quelle D*.
Schönberg schrieb zu dieser Zeit, am 1. April 1903, auch wieder an das Ehepaar Redlich, das seine Gratulation zur Be­willigung des Stipendiums telegraphisch übermittelt hatte. Der Brief ist für die Werkgeschichte von op. 5 nur indirekt relevant, nämlich insofern, als Schönberg - zumindest nach Ausweis dieses Briefdokuments - plante, im Anschluß an das gerade seit einem Monat beendete Werk ein weiteres dieser Gattung (und darüber hinaus ein Chorwerk) zu kompo­nieren:
Ich habe - wie soll ich sagen Gott sei Dank, oder leider - sehr viel zu arbeiten. Ich instrumentiere gegenwärtig die 4. (sage vierte) Ope­rette seit ich in Berlin bin. Das „Geschäft" gienge so. Nur komme ich dadurch nicht genug zur Arbeit. Und die wäre sehr nöthig für mich, denn ich möchte gerne eine symphonische Dichtung und ein Chorwerk fürs nächste Jahr componieren. Es haben mir nämlich sowohl Rich­ard Strauß als auch Prof. Siegfried Ochs (der Dirigent des Berliner Philharmonischen Chores, der ganz unvergleichlich besser ist - leider - als unser Singverein) versprochen etwas von mir aufzuführen. Die Gelegenheit würde ich gerne wahrnehmen, da mich das vielleicht auf einen Schlage dorthin stellen könnte, wo ich möchte.
Einen konkreten Anhaltspunkt zu Schönbergs Plan, nach Pelleas und Melisande ein weiteres Werk dieser Gattung zu kom­ponieren, bietet das zitierte Briefdokument nicht.
(Kokkinis, Nikos; Kwasny, Ralf: GA, Reihe B, Bd. 10, S. 205-210)

Quellenlage:
An überlieferten autographen Quellen liegen neben den teilweise in rudimentärer Form einer Ersten Niederschrift no­tierten Kompositionsentwürfen (A) und einer unvollständigen Niederschrift der Partitur (B), die im Februar 1903 been­dete Partiturreinschrift (C) sowie Fehlerlisten (J) zum Erstdruck (H) und zum Stimmenmaterial (I) vor. Als verschollen gelten müssen ein Klavierauszug (D*) aus der Zeit der Entstehung der Komposition, das handschriftliche Stimmenmaterial (E*) der Uraufführung vom 25. Januar 1905 und eine Abschrift (G*) der Partiturreinschrift (C), die mit großer Wahrscheinlichkeit als verbesserte Autographiervorlage für den Erstdruck (H) und die dazugehörigen Stimmen (I) diente und die zahlreichen inhaltlichen Differenzen zwischen C und H erklären dürfte. Ebenfalls nicht erhalten sind die er­sten 15 Bögen (F*) der bereits gegen Ende 1905 beim Berliner Verlag Dreililien begonnenen und später abgebrochenen autographischen Partiturabschrift für die geplante Erstausgabe.
Von dem bei der Universal-Edition schließlich 1911 als Autographie erschienenen Erstdruck (H) liegen drei Exemplare vor, die Schönberg als Handexemplare benutzt, d. h. mit Eintragungen versehen hat. Einen Teil dieser Ein­tragungen hat Schönberg in verschiedenen Fehlerlisten (J) zusammengestellt.
1920 erschien im Stich die revidierte Partitur (K). Als Stichvorlage diente Schönbergs Handexemplar Hc. Auch das Stimmenmaterial wurde einer Revision unterzogen (L). Von K existiert ein Exemplar mit handschriftlichen Eintragungen Schönbergs (Ka).
(Kokkinis, Nikos; Kwasny, Ralf: GA, Reihe B, Bd. 10, S. 1)

Besetzung: Orchester
Gattung: Orchesterwerke --> Orchesterstücke
beteiligte Personen: Maurice Maeterlinck (1862-1949) - Textautor(in)

Erstdruck: Universal-Edition A.G. Wien-Leipzig 1911 (U.E. 3371)
Gesamtausgabe: Reihe A, Band 10; Reihe B, Bd. 10, S. 1-74, 205-290; Skizzen: Reihe B, Bd. 10, S. 75-204

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