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Serenade

Quelle: Textquelle

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Quellentyp: Textquelle, Druck
Seiten: 1

Beschreibung:

Für den zentralen Vokalsatz der Serenade wählte Schönberg als Textvorlage das Sonett „Far potess'io vendetta di colei" aus dem Canzoniere von Francesco Petrarca (Nr. 256) in der Übertragung von Karl August Förster (1784–1841). Petrarcas opus summum besteht aus insgesamt 366 Gedichten, von denen 317 in Sonettform gefaßt sind. In ihnen besingt der Dichter im Stil der Hohen Minne seine Liebe zu der unerreichbaren, madonnenhaft verklärten „Laura", bei der es sich vermutlich um Laura de Noves, die Frau des Grafen Hugues de Sade, handelte. Einer Prosanotiz zufolge war er ihr erstmals am Karfreitag des Jahres 1327 in der Kirche Sainte-Claire zu Avignon begegnet. Ihr Blick traf ihn im Innersten und verfolgte ihn sein ganzes Leben lang, so daß diese allem Weltlichen enthobene, von Entsagung geadelte Liebe selbst den Tod der Angebeteten überdauerte und erst mit dem Tod des Dichters 1374 endete. Schönberg hatte die Petrarcasche Lyrik spätestens im Jahr 1904, in dem sich der Geburtstag des Dichters zum 600. Mal jährte, für sich entdeckt. Zwischen Sommer und Herbst entstanden die beiden Orchesterlieder „Nie ward' ich, Herrin, müd'" und „Voll jener Süße" op. 8, Nr. 4 und 5 sowie der Fragment gebliebene Entwurf „Was thust, was denkst du, Geist" (vgl. GA Band 3 der Reihe B, S. 259). 1905 folgten das letzte der sechs Orchesterlieder „Wenn Vöglein klagen" op. 8, Nr. 6 sowie das Liedfragment „O süßer Blick" (vgl. GA Band 2,2 der Reihe B, S. 164f.). Der Grund für Schönbergs kurze, aber intensive Beschäftigung mit Petrarcas Sonetten dürfte vor allem in der Strenge der Form und im hohen Stil der sprachlichen Gestaltung zu suchen sein – Eigenschaften, die seinen eigenen Bemühungen um eine dem expansiven Moment der früheren, um 1900 entstandenen Kompositionen entgegengerichtete Konzentration des Ausdrucks und der Mittel sehr entgegen kamen und die er wenige Jahre später erneut in den zeitenthobenen Dichtungen Stefan Georges finden sollte. Schönbergs erneute Hinwendung zu Petrarca rund 18 Jahre später läßt sich dagegen nur im Zusammenhang mit der Gedankenwelt seines Oratoriums Die Jakobsleiter verstehen, an dessen Komposition er 1917 und dann wieder 1921/22 intensiv arbeitete. Das Sonett, das er dem im Sommer 1922 konzipierten Mittelsatz der Serenade zugrunde legte, läßt eine zweiteilige Anlage erkennen. Im ersten, die beiden Quartette umfassenden Teil läßt der nicht-erhörte Liebende seiner Klage und seinem Schmerz freien Lauf, während der zweite Teil einen metaphysischen Vorgang beschreibt: Hier löst sich die Seele vom Körper, um sich im Schlaf mit der Geliebten zu vereinigen. Die zentrale Idee des Oratoriums, dessen Text Schönberg selbst zwischen 1915 und 1917 verfaßt hatte, ist bekanntlich ebenfalls der Aufstieg der Seelen in eine Art Zwischenreich, von wo aus sie entweder in die von Raum und Zeit befreite Himmelswelt eintreten oder aber erneut in die Lebensrealität hinabsteigen müssen. Auch wenn sich der im Gedicht beschriebene Vorgang vor allem als eine Allegorie des Traumes deuten läßt, der mit der transzendenten Religiosität des Oratoriums eine eher oberflächliche Verbindung aufweist, war die Einbeziehung des Sonetts in die Serenade insofern konsequent, als sich für Schönberg in diesem „Zufallsfund" jene Einheit von Religion und Künstlertum manifestierte, die von jeher die Grundlage seines Denkens bildete.

Als Vorlage diente Schönberg eine Ausgabe sämtlicher Sonette aus dem Canzoniere, die erstmals 1877 im Verlag Philipp Reclam jun. in Leipzig erschienen war und bis 1926 immer wieder neu aufgelegt wurde. Ein undatiertes Exemplar befindet sich noch heute in seiner Bibliothek (Arnold Schönberg Center, Signatur BOOK P2). Die Übersetzungen und Kommentare stammen von Karl August Förster, der als Lehrer und Professor an der Dresdner Kadettenanstalt wirkte und Mitglied des Liederkreises um Friedrich Kind war. Zu seinen Freunden zählte u. a. Ludwig Tieck, der eine zweibändige, posthum erschienene Ausgabe von Försters Gedichten besorgte, in deren Vorwort er dessen Studien über die italienische Poesie eigens hervorhob. 1818/19 hatte Förster die erste deutsche Übertragung sämtlicher Dichtungen Petrarcas im Rahmen einer auf Betreiben des Verlags E A. Brockhaus zweisprachig angelegten Ausgabe vorgelegt. Nachdem 1827 ein weitgehend unveränderter, nicht-autorisierter Nachdruck der Übersetzungen in Wien erschienen war, ließ Brockhaus 1833 eine nun ebenfalls einsprachige Neuausgabe folgen, für die Förster seine Übertragungen grundlegend überarbeitet und die Kommentare beträchtlich erweitert hatte. Eine dritte, kaum veränderte Auflage erschien 1851, zehn Jahre nach Försters Tod. Sie wurde 1861 in die Brockhaus-Reihe Bibliothek classischer Schriften des Auslandes in gediegenen deutschen Übersetzungen aufgenommen. Die Sonette wurden schließlich in dieser letzten Textgestalt zusammen mit den originalen Kommentaren in die Reclam'sche Universalbibliothek übernommen und erlangten aufgrund der weiten Verbreitung dieser Ausgabe schließlich den Rang eines „deutschen Petrarca".

Dabei war Försters Herangehensweise an die Übersetzungsarbeit weniger künstlerisch als vielmehr philologisch-wissenschaftlich motiviert. So bemühte er sich um eine möglichst wortgetreue Übertragung, bei der Versmaß, Reimschema und grammatische Gestaltung der italienischen Originale so weit wie möglich erhalten blieben. Eine Konsequenz dieses Ansatzes war, daß er die ursprüngliche Anlage des Canzoniere aufgab und statt dessen die einzelnen Gedichte ihrer jeweiligen Gattung entsprechend anordnete, um so das jeweils Spezifische der Canzonen, Sonette, Ballaten, Sestinen und Triumphe herauszustellen. Aus diesem Grund trägt das in der Serenade vertonte Sonett „O könnt' ich je der Rach' an ihr genesen" in der Försterschen Ausgabe wie auch in Schönbergs Aufzeichnungen die Nummer 217, während es innerhalb der Petrarcaschen Sammlung an 256. Stelle steht. Auch die teils erheblichen Änderungen der späteren Ausgaben lassen sich vor allem als Ausdruck von Försters Bemühen verstehen, einen im philologischen Sinne "korrekten" Text vorzulegen.

Schönberg hat die Textvorlage fast unverändert beibehalten. Die einzige Abweichung betrifft die Ersetzung des Wortes „wann" in der letzten Gedichtzeile durch „wenn", bei der ein Versehen nicht auszuschließen ist. Der zweimalige Sperrsatz des Worts „ihr" in Zeile 1 und 14 wurde im unterlegten Text zwar typographisch nicht beibehalten, fand jedoch seine musikalische Umsetzung in der rhythmischen bzw. diastematischen Gestaltung. Die komplizierte, verschachtelte Grammatik des Gedichts war offenbar auch für Schönberg nicht auf Anhieb verständlich, weshalb er sich in mehreren Randglossen sowie in dem undatierten Entwurf einer Prosafassung des zweiten Quartetts, der auf der entsprechenden Seite der Ausgabe eingeklebt ist, um eine Entschlüsselung des Wortsinns bemühte.


Gesamtausgabe: Reihe B, Bd. 23.1, S. 155f.
Standort: Arnold Schönberg Center
Signatur: BOOK P2

Digitale Reproduktion:

Format JPG, Druckqualität: 200 dpi
Der Download ist kostenlos.


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